Ein neues Wohnhaus oder doch lieber ein Park? Ein neuer Parkplatz oder Flächen zur Energiegewinnung? Im verdichteten Stadtraum stößt man immer wieder auf konkurrierende Interessen, wenn es darum geht, vorhandene Freiräume zu nutzen oder neue zu schaffen. Die Integration von Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen ist besonders schwierig, wenn der Platz knapp wird. Doch was wäre, wenn man die Nutzungen, statt sie gegeneinander auszuspielen, einfach clever kombiniert? Das Prinzip dahinter nennt sich Multikodierung.
Multikodierung bedeutet Mehrfachnutzung
Gemeint ist damit Mehrfachnutzung von Flächen dort, wo Nutzungen sinnvoll miteinander vereint werden können oder sogar Synergien bilden.
Wie das gelingen kann, macht Rotterdam vor: Im Rahmen einer umfassenden Klimaanpassungsstrategie wurden hier bereits innovative Projekte umgesetzt, die verschiedenen Ansprüchen an den Stadtraum gerecht werden sollen. Ein Beispiel ist der Sportplatz „Water Square“ in Benthemplein.
Um den Platz zu erreichen, muss man ein paar Treppenstufen nach unten gehen, aber insgesamt wirkt er wie ein ganz normaler städtischer Sportplatz mit festem Untergrund. An den meisten Tagen im Jahr dient dieser als zentraler Treffpunkt für junge Menschen im Viertel und kann für niedrigschwellige Sportaktivitäten wie Fußball, Basketball oder Skating genutzt werden. Kommt es zu aber zu einem Starkregenereignis, wird seine versteckte Funktion sichtbar: Der Platz ist so konstruiert, dass er ab einer gewissen Regenstärke beginnt sich mit Wasser zu füllen. Er hält das Regenwasser zurück, sodass Wege und Bebauung im umliegenden Bereich weiter nutzbar bleiben.
Gerade dort, wo Grünflächen als Versickerungsflächen nicht möglich sind und Kanalisation Starkregen nicht standhalten, können solche kreativen Lösungen dazu beitragen, die Stadt ein bisschen klimaresilienter zu machen.
Mehr Raum für Energiegewinnung
Neben konkreten Anpassungen an einzelne Aspekte des Klimawandels stellt sich im Zuge der Energiewende auch zunehmend die Frage, wie und wo in der Stadt lokal und dezentral Strom in kleineren Anlagen erzeugt werden kann. Auch hier spielt das Thema Multikodierung eine wichtige Rolle.
Solarpanels z. B. lassen sich auf vielfältige Weise mit klassischen Stadtelementen vereinen. Auf Stelzen gestellt können sie auf innerstädtischen Parkplätzen für dringend benötigten Schatten sorgen und gleichzeitig Energie gewinnen.
Parkplätze bieten sich generell gut für eine Mehrfachnutzung an, da sie flächenintensiv und oft untergenutzt sind. Werden hier statt einer vollen Versiegelung durchlässige Gittersteine genutzt, können sich niedrigwüchsige Pflanzen ansiedeln und Regenwasser kann versickern. Durch den Verdunstungseffekt lässt sich die starke Erwärmung des Bodens und damit der Luft in der Umgebung erheblich reduzieren. Das kommt auch Anwohnern und Nutzern der Parkplätze zu Gute .
Energiegewinnung in der Stadt geht aber auch unsichtbar. Erdsonden unter Parks, Gärten und Grünflächen verschwinden vollständig im Boden und können umliegende Bereiche mit Erdwärme versorgen, ohne dass die Nutzung der Flächen an der Oberfläche beeinträchtigt ist. Auch unter Straßen, Parkplätzen, Sportplätzen und Gebäuden können die Sonden zum Einsatz kommen. Sie bieten großes Potenzial für die Erzeugung von erneuerbarer Wärme in der Stadt.
Neben Erdsonden lassen sich auch innovative Energiespeicher wie z. B. Eisspeicher, aber auch Regenwassertanks unterirdisch errichten und so die Energie- und Wassergewinnung unabhängiger von Umweltbedingungen machen. Durch Regenwassertanks wiederum können in Dürrezeiten Grünflächen bewässert werden und so der Verbrauch an Trinkwasser gesenkt werden.
Auch Dächer sind mehrfach nutzbar
Besonders viele Chancen im privaten Raum bieten Dachflächen. Während sich schräge Dächer immerhin noch für die Energiegewinnung mittels Photovoltaik- und Solarthermieanlagen nutzen lassen, bieten Flachdächer gleich mehrere zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten.
Von einem extensiven Gründach, das mit nur wenigen Zentimetern Pflanzsubstrat oder sogar nur Textilmatten ausgestattet verschiedenen wärmeliebenden, anspruchslosen Pflanzen wie Mauerpfeffer eine Heimat bieten kann, über ein Intensivgründach mit Rasen, Sträuchern oder sogar Gehölzen bis hin zum begehbaren Dachgarten mit Erholungsflächen oder Spielplätzen, die einem klassischen Park in Nichts nachstehen, ist auf Dächern eine Menge möglich.
Solche Dächer bieten nicht nur Grün fürs Auge, sondern der Natur auch wichtige Trittsteinbiotope, also Brücken für Tiere und Pflanzen zu naturnahen Flächen in der Nähe. Und das war noch nicht alles. Begrünte Dächer sorgen für ein besseres Klima im Gebäude und absorbieren Stadtlärm. Sie halten außerdem wertvolles Regenwasser zurück und sind damit ein wichtiger Bestandteil der Schwammstadt.
Dachbegrünung von vornerein mitdenken
Da die mögliche Nutzung der Dächer aber viel damit zu tun hat, wie das Dach konstruiert ist und was es halten kann, muss die Dachnutzung schon beim Bau der Gebäude mitgedacht werden. Viele Städte haben daher damit begonnen, Dachbegrünung bei Neubau zu fördern oder sogar vorzuschreiben.
Die Installation solcher Gründächer erhöht zwar erst die Baukosten, langfristig kommt es aber auch zu Einsparungen durch die Auswirkungen auf Raumklima, Materialschonung und Schutz vor Klimawandelauswirkungen wie z. B. Überflutung und Hagelschäden. Deswegen finden Gründächer auch unabhängig von rechtlichen Vorgaben immer mehr Einzug in den Stadtraum.
Auch Fassadenbegrünung ist Multikodierung
Noch grüner werden kann die Stadt, wenn neben Dachflächen auch Fassaden begrünt werden. Dafür sind oftmals auch keine aufwendigen Maßnahmen nötig. Geeignete Rankpflanzen können mit etwas Unterstützung selbst Fassaden hochklettern, ohne die Bausubstanz zu schädigen.
Besonders geeignet hierfür sind z. B. Brückenpfeiler oder Lärmschutzwände. Wie Gründächer können sie das Klima in der Stadt und die Aufenthaltsqualität verbessern und sind gleichzeitig wahre Raumwunder, da sie nur wenig Platz in der Breite benötigen und trotzdem große grüne Flächen schaffen.
Die Möglichkeiten zur Mehrfachnutzung von Flächen sind also vielfältig und diese Aufzählung noch lange nicht vollständig. Im Zuge des Klimawandels wird es schon jetzt, in Zukunft noch mehr, notwendig sein, solche kreativen Lösungen zu finden, um die Stadt lebenswert zu halten für Mensch und Natur.