Venedig, Rom, Florenz – kennt doch jede:r. So schön die Tourist:innen-Hotspots Italiens auch sind, es gibt auch abseits davon großartige Städte zu entdecken. Wie zum Beispiel Genua, die Hafen-Metropole an der ligurischen Küste. Warum La Superba eine Reise wert ist, erfahrt ihr hier.
Ab in den Großstadtkessel!
Genua ist verbaut – daran muss man sich gewöhnen. Eingezwängt zwischen dem Mittelmeer und den Bergen des Apennin ist im Talkessel der 800.000-Einwohner:innen-Stadt nicht viel Platz. Daher wurde in Genua schon immer eng an eng und wild durcheinander gebaut. Stadtplanerische Entscheidungen aus der Ära der autogerechten Stadt wie die Stadtautobahn auf Stelzen, die direkt am Hafen entlangführt und der Stadt die typisch ligurische pittoreske Fassade zum Meer raubt, sind sicher nicht das Erste, was man sich von einem Reiseziel wünscht.
Gerade Reisende, die vorher die bezaubernden Dörfer und Städtchen der ligurischen Küste besucht haben, dürften hier erst einmal schlucken. Genua ist keine Wanderidylle wie die Cinqueterre-Dörfer und kein Beinahe-Theme-Park wie Venedig, sondern eine italienische Großstadt mit allem, was dazugehört. Mich persönlich hat das sofort abgeholt – und schon auf dem Weg vom Bahnhof Brignole zum Hafen hinunter zeigt die Stadt ihre vielen Gesichter.
Who the fuck is Venice?
Da sind zum Beispiel die überbordenden Arkaden aus dem 19. Jahrhundert, die mit ihren Gewölben und Marmormosaiken selbst den schnöden globalisierten Ladenketten einen Schuss Grandezza verleihen. Und natürlich die seit 2006 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählenden Strade Nuove mit ihren prächtigen Palazzi aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
Dann stößt man beim Spaziergang durch die Stadt auf die weitläufige Piazza De Ferrari mit dem Dogenpalast – ja, auch in Genua gab es einen Dogen wie in Venedig und nein, das eher schlichte Gebäude ist nicht mit der gotischen Sahnetorte an der Lagune der Serenissima zu vergleichen. Aber im Gegensatz zu Venedig hat man in Genua das Gefühl, sich in einer lebendigen Stadt zu befinden, in der man auch essen, trinken oder shoppen gehen kann, ohne sich mit anderen Tourist:innen um jeden freien Platz streiten zu müssen.
Auf dem Weg Richtung Wasser lohnt sich dann ein Abstecher in die Kathedrale San Lorenzo mit etwas bedröppelt guckenden Löwenstatuen vor den Portalen und im Inneren Fresken aus dem 13. Jahrhundert. Und dann werden die Straßen immer enger und die Häuser immer höher und die mittelalterliche Altstadt hat einen umschlungen.
Altstadt ohne bunte Nudeln
Die Altstadt – übrigens eine der größten Europas – war es dann, die mich sofort in ihren Bann gezogen hat. Auch hier zeigt Genua ein ganz eigenes Gesicht. Die Häuser sind unglaublich hoch und groß und stehen so eng beieinander, dass es unten richtig dunkel ist. Man fühlt sich wie in einem steinernen Wald oder einem Labyrinth aus tiefen Schluchten. Im Reiseführer steht, dass sich Menschen in den oberen Stockwerken die Hände reichen können und das kann ich mir lebhaft vorstellen.
Die typischen „hier gibt es bunte Nudeln und Olivenöl“-Tourist:innenläden findet man hier zwar auch ab und an, aber bei weitem nicht so inflationär wie in anderen beliebten italienischen Städten. Stattdessen gibt es in den Carrugi genannten Gassen antifaschistische Graffiti, kleine Bars und Restaurants, aber auch Metzgereien oder Käseläden, Musikinstrumentemacher, Buchhandlungen, Bäckereien und andere inhaber:innengeführte Geschäfte, die wie aus der Zeit gefallen wirken.
Superba vs. Serenissima
Ihre große Zeit hatte die Stadt als Seerepublik im Mittelalter. Zur Hochzeit ihrer Macht im 12. und 13. Jahrhundert rang Genua mit Venedig um die Handelsmacht. La Superba („die Stolze“), wie sich Genua selbst nennt, gegen La Serenissima („die Durchlauchtigste“). Die genuesischen Seefahrer:innen handelten mit Getreide, Pelzen, Gewürzen, Salz, Fisch und Nüssen – aber auch mit versklavten Menschen.
Auch heute ist das Gesicht der Stadt noch auf das Meer ausgerichtet – in den Zeiten vor Autobahnen und Eisenbahntunneln war das Mittelmeer der einzige relevante Verkehrsweg, um Genua zu erreichen. Noch immer ist der Hafen von Genua einer der größten Containerumschlagplätze am Mittelmeer, der auch das Hinterland mit den wirtschaftlich wichtigen Standorten Mailand und Turin versorgt.
Als Besucher:in merkt man davon nicht allzu viel – touristisch relevant ist vor allen der alte Hafen Porto Antico, der 1992 zum Kolumbus-Jahr vom genuesischen Architekten Renzo Piano umgestaltet wurde. Piano baute nicht nur alte Lagerhallen zu Locations für Bars, Restaurants und Kulturevents um, er entwarf auch den extravaganten Bigo-Aussichtsturm in Kranform und das spektakuläre Genueser Aquarium (das ich allen, die an Meeresbiologie interessiert sind, nur wärmstens empfehlen kann).
Auferstehung zum Kolumbus-Jahr
Dem wohl berühmteste Bürger der Stadt, Christoph Kolumbus, ist auch die Renaissance der Stadt ab dem späten 20. Jahrhundert zu verdanken. Zum 500-jährigen Jubiläum seiner Landung in Amerika wurde in Genua nicht nur der alte Hafen umgestaltet, sondern auch sonst einiges aufgehübscht.
Die zweite Phase des Wiederauflebens erfolgte dann 2004, als Genua Kulturhauptstadt Europas wurde. In diesem Zuge wurde die seit der Nachkriegszeit verfallene und verrufene Altstadt saniert und restauriert. Heute ist sie wieder ein lohnenswerter Wohnort für viele Genues:innen.
Das Brückenunglück
2018 geriet Genua leider auf tragische Weise in die Schlagzeilen als ein Pylon des Polcevera-Viadukts, einer Autobahnbrücke aus den 60er Jahren, einstürzte und 43 Menschen beim Zusammenbruch der Brücke starben.
Die alte Brücke wurde 2019 abgerissen und ein Neubau in Auftrag gegeben – auch wieder an Renzo Piano, den Umgestalter des Hafens. 2020 wurde die Brücke Genova San Giorgio eingeweiht und für den Straßenverkehr freigegeben.
Mein persönlicher Eindruck
Irgendwie hatte ich sofort im Gefühl, dass mir Genua gefallen würde. Vielleicht, weil ich ein Architektur-Nerd bin, vielleicht, weil ich ein Faible für Hafenstädte habe oder, weil ich vor ein paar Jahren in Neapel war und mich dort in das Chaos an der Bucht, das Gassengewirr (und die Pizza!) verliebt habe. Genua ist als norditalienische Metropole natürlich aufgeräumter und reicher als Neapel und statt Pizza gibt es Focaccia und Pesto Genovese, aber die Vibes sind ähnlich.
Ich mag, wie die sich Gebäude im engen Talkessel halb übereinander geschoben anfühlen, wie überall eine Treppe oder ein versteckter Durchgang lockt und wie Mittelalter und Barock, Plattenbau und Postmoderne zu einem chaotischen, aber auch prachtvollem Ganzen verschmelzen. Zwar habe ich nur zwei Tage in Genua verbracht und längst nicht alles gesehen, was wichtig gewesen wäre, aber eins weiß ich – ich komme definitiv wieder!