Kunst am Bau – was soll das eigentlich?

An einer von Containerwagen befahrenen Eisenbahnbrücke im Hamburger Hafen prangt groß das Wort "Eisenbahnbrücke"
Foto: Christina Grevenbrock

Ich glaube, ich habe noch nie jemanden etwas Positives über Kunst am Bau sagen hören. Abstrakte Ornamente, seltsame Stelen, hässliche Klötze – meist wird der künstlerische Gebäudezusatz belächelt. Manche halten Kunst am Bau sogar für Geldverschwendung. Dabei hat das Konzept eine lange, spannende Geschichte.

Warum gibt es Kunst am Bau?

Der Grund ist erstmal unsexy – es handelt sich um eine Regelung des Bundes nach den Richtlinien für die „Durchführung von Bauaufgaben des Bundes (RBBau)„.

In Abschnitt K7 „Beteiligung bildender Künstler“ heißt es:

Bei Baumaßnahmen des Bundes sind Leistungen zur künstlerischen Ausgestaltung an bildende Künstler zu vergeben, soweit Zweck und Bedeutung der Baumaßnahmen dieses rechtfertigen. Als Leistungen bildender Künstler kommen Kunstwerke in und an Gebäuden, für die Ausstattung einzelner Diensträume sowie in gärtnerischen Anlagen u. dgl. in Betracht. Hierzu gehört auch die Anfertigung von Entwürfen für Kunstwerke oder künstlerisch gestaltete Bauteile, deren Herstellung zusätzliche handwerkliche Leistungen Dritter erforderlich macht.

Kurz: Bei Bauvorhaben des Bundes wird ein bestimmter Anteil des Baubudgets für künstlerische Arbeiten vorgesehen. Dabei geht es nicht um reine Dekoration. Kunst am Bau setzt sich mit Ort und Raum, Inhalt und Funktion der Bauaufgabe auseinander. Sie kann ein Bauwerk unterstreichen oder auf es reagieren, Akzeptanz und Identifikation fördern, Öffentlichkeit herstellen und Standorten ein zusätzliches Profil verleihen“.

Im Idealfall regt Kunst am Bau also zum Nachdenken über das Bauwerk und seiner Funktion an. Ob das immer gelingt, sei dahingestellt.

Kunst am Bau, die gut ankommt: Die Lichtinstallation an der Hamburger U-Bahn-Haltestelle Hafencity Universität wurde vom Architektenbüro Raupach Architekten, München gestaltet.

Nicht immer vom Bund beauftragt

Kunst am Bau gibt es übrigens nicht nur bei Bauten der öffentlichen Hand. Auch private Großprojekte wie Firmengebäude können einen Teil ihres Baubudgets für Kunst ausgeben. In Abgrenzung zur behördlichen Definition von Kunst am Bau spricht man hier auch von baugebundenen Kunstwerken.

Ein prominentes Beispiel sind die „Molecule Men“ an der Spree – nur wenige dürften wissen, dass diese viel fotografierte Berliner Sehenswürdigkeit von der Allianz AG finanziert wurde und Teil des benachbarten Gebäudekomplexes Treptowers ist.

Kunst beim Bau ist nicht Kunst am Bau: Die „Maman“ von Louise Bourgeois vor der Hamburger Kunsthalle im Winter 2012

Kunst am Bau ist nicht Street Art

Obwohl Banksy und Co. Kunstwerke an Gebäuden schaffen, handelt es sich bei Street Art und Urban Art nicht um Kunst am Bau. Denn unter den Begriff Kunst am Bau fallen laut offizieller Definition nur künstlerische Arbeiten, die im Rahmen des Bau- und Budgetprozesses geplant wurden. Street-Art-Werke, die nachträglich, teilweise auch ohne Wissen oder Zustimmung der Bauherr:innen ans Gebäude gebracht wurden, sind keine Kunst am Bau.

Gleiches gilt für temporäre Installationen oder Interventionen, die mit einem Gebäude interagieren, wie die berühmte Reichstagsverhüllung der Christos oder die Riesenspinne von Louise Bourgeois, die 2012 auf dem Sockel der Hamburger Kunsthalle stand. Aber natürlich können auch diese Werke die Funktionen von Kunst am Bau erfüllen, indem sie zur Auseinandersetzung mit dem Bauwerk und dem Ort anregen.

Antiker Bauschmuck: Das Erechtheion an der Athener Akropolis mit der berühmten Korenhalle.

Die Geschichte der Kunst am Bau

Menschen schmücken ihre Gebäude, seit es Gebäude gibt. Man könnte also sagen, dass antike Tempelskulpturen oder barockes Ornament auch eine Form der Kunst am Bau sind.

Das spezifisch deutsche Phänomen der Kunst am Bau entwickelte sich jedoch in der Weimarer Republik 1919 als Idee einer Art „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ für notleidende Künstler:innen, wie es sie auch für andere Berufsgruppen gab.

Auch abseits dieser offiziellen Maßnahmen entstanden in den 1920er Jahren baubezogene Kunstwerke namhafter Künstler:innen wie etwa die Glasfenster von Josef Albers für das Sommerfeldhaus von Walter Gropius in Berlin-Dahlem oder die Wandbilder von Oskar Schlemmer für das Museum Folkwang in Essen.

Während der NS-Diktatur wurden künstlerische Arbeiten an Gebäuden ebenfalls staatlich gefördert. Nach der Gleichschaltung der bildenden Künstler:innen 1933 erließ Propagandaminister Goebbels im Mai 1934 ein Rundschreiben, in dem er forderte, bei Neubauten im Reich einen Teil der Bausumme für Aufträge an bildende Künstler:innen vorzusehen – die Regelung sollte für alle Bauten gelten, die mehr als 10.000 Reichsmark kosteten. Neben Ausnahmen wie der Monumentalplastik für das Berliner Olympiastadion und seine Nebenanlagen handelte es sich vor allem um Adler, Hakenkreuze und Fahnenmasten an Militär-, Schul- und Verwaltungsbauten.

ein Ziegelgebäude mit einem geometrischen Motiv im 50er-Jahre-Stil in schwarzen, blauen und weißen PlattenQuelle: Foto: Martina John
Typische Kunst am Bau der Nachkriegszeit: 50er-Jahre-Ornamentik an einem Gebäude in der Hamburger Neustadt

Kunst am Wiederaufbau

Kunst am Bau im heutigen Sinne entstand im Zuge des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit. 1950 beschloss der Bundestag aufgrund einer Empfehlung des deutschen Städtetags: „Um die bildende Kunst zu fördern, wird die Bundesregierung ersucht, bei allen Bauaufträgen (Neu- und Umbauten) des Bundes, soweit Charakter und Rahmen des Einzelbauvorhabens dies rechtfertigen, grundsätzlich einen Betrag von mindestens 1 Prozent der Bauauftragssumme für Werke bildender Künstler vorzusehen.“

Auch die DDR beschäftigte sich mit der staatlich geförderten Verbindung von Kunst und Architektur: 1952 wurde die „Anordnung über die künstlerische Ausgestaltung von Verwaltungsbauten“ erlassen, nach der 1 bis 2 Prozent der Planbaukosten an bildende Künstler:innen vergeben werden sollten. Der für die DDR typische Bauschmuck ist noch heute vielerorts zu finden: Fresken und Mosaike wie der Fries „Unser Leben“ am Haus des Lehrers am Berliner Alexanderplatz, der Anfang der 1960er Jahre entstand.

Die „Bauchbinde“ am Haus des Lehrers von Walter Womacka zeigt das gesellschaftliche Leben in der DDR

Kunst am Bau als politisches Statement

Vieles von dem, was wir heute als typische Kunst am Bau im Kopf haben, ist eng mit dem Wiederaufbau und dem Bauboom der unmittelbaren Nachkriegszeit und der 60er und 70er Jahre verbunden – abstrakte „Klötze“ und Stelen, farbige Mosaike in geometrischen Formen, mit denen die Bundesrepublik ihr kulturelles und künstlerisches Selbstverständnis zementierte.

Dies geschah natürlich vor allem in der neuen Hauptstadt Bonn – die Regierungsgebäude und die an und um sie installierte Kunst am Bau positionierten sich repräsentativ mit Künstler:innen der jeweiligen westlichen Trendströmungen wie Informel, Minimal Art und Fluxus. Parallel dazu schmückte die DDR ihre Bauten mit Werken im Stil des Sozialistischen Realismus.

Kunst für alle?

Offiziell vom Gedanken der „Kunst für alle“ geprägt, war Kunst am Bau in öffentlichen Gebäuden auch immer wieder Ausdruck des persönlichen Geschmacks der Verantwortlichen: Eines der wohl bekanntesten Beispiele sind die „Large Two Forms“ von Henry Moore vor dem ehemaligen Bundeskanzleramt in Bonn, die 1979 auf Betreiben des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der mit Moore befreundet war, aufgestellt wurden, obwohl der Wettbewerb für die künstlerische Neugestaltung des Kanzleramtes an dieser Stelle eigentlich ein anderes Werk vorsah.

Manchmal entdeckt man die Kunst am Bau erst auf den zweiten oder dritten Blick so wie diese Arbeit am Berliner Hauptbahnhof.

Kunst am Bau heute

Im Zuge der Wiedervereinigung boomte die Kunst am Bau natürlich im Berlin der 1990er, als ein komplett neues Regierungsviertel errichtet wurde. Auch hier schmückte sich der Bund mit den angesagten Namen der Ära – so entwarf Gerhard Richter Kunstwerke für die Westeingangshalle des Bundestags, und viele andere Big Names wie Neo Rauch, Jenny Holzer oder Sigmar Polke waren für die neuen Regierungsbauten tätig.

Und ganz aktuell? Auch im endlich eröffneten Flughafen Berlin-Brandenburg gibt es Kunst am Bau, zum Beispiel den „Magic Carpet“ von Pae White unter der Decke der Check-in-Halle von Terminal 1.

Weiterführende Infos:

  • Ihr wollt noch mehr Kunstwerke am Bau sehen? Das virtuelle „Museum der 1000 Orte“ zeigt Arbeiten, die seit 1950 im Auftrag des Bundes entstanden sind.
  • Wer es ganz genau wissen möchte, findet hier bei baunetz.de eine ausführliche kulturelle Einordnung der Geschichte der Kunst am Bau in Deutschland

Martina

Mag Architektur, Tiere und Internetkultur

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