Halloween – neumodischer Mist oder tiefsitzendes Bedürfnis?

Halloweendekoration mit Kürbissen, Spinnen und dem Schriftzug "Happy Halloween"

Es ist wieder so weit, die Zeit der geschnitzten Kürbisfratzen und der Gruseldekoration ist da. Aber was steckt hinter dem Siegeszug des Fests? Ein Meinungsstück.

Eine Horde Kinder zieht singend durch die Straßen und fordert Süßigkeiten ein. Der Fall scheint klar, dieser Artikel erscheint im Oktober, es kann sich nur um Halloween handeln. Oder? Es ist wahrlich kein neuer Trend mehr, dass sich die amerikanisierte Grusel-Verkleidungs-Dekorationsvariante britischer Allerheiligenbräuche weltweit durchsetzt. Der 31. Oktober ist schon längst fest im Griff dieses „neuen“ Brauchs.

Jeder Blick in die Vorgärten der Nation beweist dies. Millionen Kinder freuen sich auf ihre „Süßes oder Saures“-Touren, bei denen sie verkleidet an den Haustüren ihrer Straßenzüge klingeln und um Süßigkeiten bitten. Trotzdem melden sich noch immer tapfere Kämpfer:Innen für heimische Traditionswahrung zu Wort, die unermüdlich darauf hinweisen, dass das Fest doch nur amerikanisierter Mist sei, der in unseren Breitengraden nichts zu suchen hätte. Halloween sei außerdem rein kapitalistisch und würde nur zu unnützem Konsum verführen.

Von Irland über die USA zu uns: Der Brauch am Vorabend zu Allerheiligen geschnitzte Kürbisse aufzustellen hat eine lange Geschichte. Foto: Christina Grevenbrock

Was hat es denn eigentlich mit Halloween auf sich?

Die Argumente sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Noch vor dreißig Jahren gab es in Deutschland keine nennenswerten Halloweenfeiern und auch das Konsumargument trifft durchaus zu. Ist Halloween ein neuartiger, amerikanischer Brauch? Natürlich. Auch wenn das Brauchtum historisch eigentlich von irischen Allerheiligenbräuchen und noch älteren heidnischen Traditionen abstammt.

Halloween findet am Vorabend des katholischen Allerheiligenfestes – All Hallows Eve – statt. Das hier ursprünglich enthaltene Totengedenken findet heute aber doch eher auf einer oberflächlichen Ebene statt. Die heutige kürbisgefüllte Süßigkeiten-Gruselschlacht, die sich alljährlich in deutschen Eigenheimen und Kaufhäusern abspielt, entstand aber in ihrer heutigen Ausformung in den USA und hat nur noch wenig mit historischen Gebräuchen zu tun.

Ist Halloween deshalb jetzt doof? Es muss doch Gründe geben, warum das Fest weltweit derartig Fahrt aufgenommen hat. Immerhin ist es ein Brauch, der viele attraktive Aspekte verbindet: Es gibt Süßigkeiten (immer toll), Verkleidungen (auch zu Karneval/Fasching der Renner) sowie interessante Dekorationen und Beleuchtungen (auch zu Weihnachten ein Hit). Nicht zuletzt handelt es sich um einen sogenannten Heischebrauch, also einen Sammel- und Bittbrauch, bei dem die Teilnehmenden von Haus zu Haus laufen und um Gaben bitten.

Diese körnige Aufnahme zeigt die Autorin als Kind beim Palmstocklaufen in ihrer Nachbarschaft.

Was ist ein Heischebrauch?

Heischebräuche sind Traditionen, bei denen Personen in ihrem Wohnort oder ihrer Nachbarschaft von Haus zu Haus ziehen und Spenden beziehungsweise Geschenke – häufig Süßwaren, Geld oder Alkohol – erbitten und erhalten. Beispiele für solche Bräuche gibt es fast so viele wie Ortschaften. Überregional bekannt ist zum Beispiel das katholische Sternsingen am Dreikönigstag, dem 06. Januar. Dabei laufen drei Kinder, die als die heiligen drei Könige verkleidet sind, von Haus zu Haus, singen ihr Dreikönigslied, segnen die Wohnstätten und sammeln dabei Geldspenden für einen guten Zweck.

In meiner Kindheit kannte ich noch kein Halloween, aber ich bin am Palmsonntag mit den Kindern meiner Nachbarschaft „Palmstocklaufen“ gegangen. Dabei wurde ein bestimmtes Lied gesungen und an einem „palm“-(also Buchsbaum)geschmückten Ast Süßigkeiten gesammelt. An Pfingsten lief dieselbe Schar Kinder mit der „Pfingstbraut“ (Pingsterbrut) umher und hat Geld für das zugehörige Fest gesammelt. An Neujahr sind vormittags die Kinder, nachmittags die Männer von Haus zu Haus gezogen, um ein Frohes neues Jahr zu wünschen (Niejohrswinnen). Die Kinder bekamen Neujahrskuchen, die Männer noch einen Schnaps dazu.

Solche Bräuche gab und gibt es (fast?) überall und überall anders. Norddeutsche Kinder kennen an Silvester das Rummelpottlaufen, Katholik:Innen das bereits erwähnte Sternsingen und die Liste ließe sich ewig fortsetzen – Heischebräuche gibt es weltweit. Sogar in New York gab es einen Heischebrauch vor Halloween, nämlich den „Raggamuffin Day“, bei dem sich Kinder zu Thanksgiving als Bettler:Innen verkleideten und um Spenden baten.

Es fällt auf, wie weit verbreitet diese Bräuche einerseits sind und dass sie andererseits von Region zu Region an völlig unterschiedliche Daten stattfinden. Mir scheint, dass Heischebräuche für Gesellschaften grundsätzlich wichtig sind, ihre Verknüpfung mit bestimmten Anlässen jedoch oberflächlich und wandelbar. Wie könnte es sonst sein, dass es so viele verschiedene und doch ähnliche Bräuche quer durch den Jahreslauf gibt?

Warum brauchen wir Heischebräuche?

Ich bin weder Anthropologin noch Volkskundlerin oder gar Psychologin, aber ich bin überzeugt, dass diese Art Bräuche grundlegende Funktionen für Gesellschaften erfüllen, sonst würde es sie nicht so oft und in ganz unterschiedlichen Kulturen geben.

Welche Aufgaben könnten das sein? Ein Effekt ist, dass so die Mitglieder einer Gruppe (Dorf, Nachbarschaft…) miteinander vertraut gemacht werden. Oft sind es die Kinder, die zu besonderen Daten von Haus zu Haus ziehen – vielleicht werden dabei nebenbei gerade die neuen Mitglieder einer Gemeinschaft (Kinder) miteinander, mit den räumlichen Gegebenheiten ihres Ortes und mit den älteren Mitgliedern bekannt gemacht.

Außerdem gilt der Austausch von Geschenken und Gaben unter Soziolog:innen und Philosoph:innen zu den wichtigeren Funktionen, um Gesellschaften zusammenzuhalten. Das Geben und erwarten von Gaben erzeugt ein Geflecht von Beziehungen, das die Gesellschaft als ganzes festigt und stärkt.

Foto: Christina Grevenbrock

Darum brauchen wir Halloween!

In einer Zeit großer Mobilität und Migrationsbewegungen, in der unsere Städte wachsen, gehen traditionelle Heischebräuche immer mehr verloren. In meiner neuen Wahlheimat kann ich nicht Palmstocklaufen, da macht niemand mit. Und an Neujahr könnte ich meine Nachbar:Innen bestimmt besuchen, Neujahrskuchen krieg ich da aber nicht. Stattdessen kann ich höchstens, je nachdem, auf einen leicht verkaterten Kaffee hoffen.

Gerade weil unsere „alten“ Heischebräuche so divers sind, sind sie in Städten mit ihren genauso diversen Bewohner:Innen kaum anschlussfähig. Trotzdem besteht aber ein legitimes und starkes gesellschaftliches Bedürfnis nach solchen Bräuchen. Halloween füllt genau diese Lücke.

Sicherlich tut es das auch, weil es medial und konsumeristisch auf massiven Anklang stößt. Genau dieser Umstand, der Nörgler:Innen sauer aufstößt, macht Halloween aber konsensfähig. Der 31. Oktober bietet ein festes, überregional bekanntes Datum, um diese Leerstelle der verschwindenden bzw. stark regional gebundenen Heischebräuche zu füllen. Gerade in den Städten gibt es sonst nicht viel Vergleichbares. Also schmückt eure Häuser, lasst die Kinder ziehen und ihren Spaß haben!

Christina

Mag Kunst, Gemüse und Nachhaltigkeit.

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