Unsere liebsten fiktionalen Städte

Reihe von Fantasybüchern vor einem Regal

Was gibt es Schöneres, als sich im dunklen November mit Büchern, Serien, Computerspielen oder Filmen zu beschäftigen und fremde Welten – oder Städte – zu entdecken? Wir stellen die fiktionalen Metropolen vor, die uns in der Giersch-Redaktion am meisten faszinieren.

Dunwall aus den “Dishonored”-Spielen (2012, 2016)

[Martina]

Ich habe in Computerspielen schon diverse Städte besucht – vom dystopisch-melancholischen Revachol aus “Disco Elysium” über das mittelalterliche Weißlauf in “Skyrim” bis zum hedonistischen Beinahe-Los-Angeles Los Santos in “GTA” – doch keins der Spiele hat das Prinzip Stadt so gut verstanden wie die “Dishonored”-Serie.

Das erste Spiel hat schon über 10 Jahre auf dem Buckel, aber wie man sich mit der Spielfigur Corvo über die Dächer und durch die Gassen der verregneten Industriemetropole Dunwall bewegt, geheime Ecken entdeckt, Abkürzungen durch verrottete Hinterhöfe findet und immer wieder auf den großen Fluss Wrenhaven blickt, kann sich mit dem Spielspaß und der Atmosphäre modernster Titel messen.

Dabei erlebt man ein viktorianisch inspiriertes Stadtbild, dessen Darstellung zweifellos von Gustave Dorès “London: A Pilgrimage”-Serie, Adolphe Valettes Stadtlandschaften von Manchester und William Turners Sonnenuntergängen beeinflusst wurde, garniert mit einer gehörigen Portion frankobelgischer Comic-Tradition – das ist für mich in dieser Kombination einzigartig.

Und dann ist da das Worldbuilding selbst: Natürlich ist viel London in die Konzeption von Dunwall eingeflossen. Aber die Entwickler:innen haben daraus eine ganz eigene Welt geschaffen, die das Thema Industrielle Revolution und Imperialismus ernst nimmt und sich nicht nur auf dekorative Steampunk-Ästhetik beschränkt. Es gibt ein kurz vor dem Zusammenbruch stehendes Wirtschaftssystem, das auf Walöl basiert, Magie, die sporadisch genug eingesetzt wird, um geheimnisvoll und interessant zu bleiben, und ein großes Ensemble gut ausgearbeiteter Charaktere.

Dass man der Spielgrafik das Entstehungsjahr 2012 teilweise ansieht, vergisst man spätestens nach dem Prolog. Und spätestens der Nachfolger “Dishonored 2”, der einen in eine neue Stadt mit ganz eigener Ästhetik entführt, gehört für mich immer noch zu den optisch schönsten und detailreichsten Spielen, die ich je auf der Konsole hatte.

Ankh-Morpork aus den „Scheibenwelt/Discworld“ Fantasyromanen von Terry Pratchett (1983 – 2015) 

[Christina]

Quelle: Christina Grevenbrock

Ankh-Morpork ist die größte Stadt und das unbestrittene Zentrum von Terry Pratchetts fantastischem Scheibenwelt-Universum. In unzähligen Scheibenweltromanen bin ich mit Orks, Menschen, Werwölfen und Vampiren die Kopfsteinpflaster dieser absurden Hauptstadt entlang gewandert. Dabei habe ich die verwinkelt-phantastische Stadt durch die Augen der verschiedensten Protagonist:innen erlebt.

Über 35 Jahre hinweg hat Terry Pratchett 41 Scheibenweltromane geschrieben. Viele von ihnen spielen mindestens teilweise in Ankh-Morpork, fast alle erwähnen die fiktive Metropole. Es gibt echte deutsche Städte, denen ich deutlich weniger Lebenszeit gewidmet habe. Ankh-Morpork erinnert an eine mittelalterliche europäische Stadt. Oder vielmehr die Karikatur einer Stadt. Unter Pratchetts Funny-Fantasy-Linse wird jeder Aspekt einer Stadt aufgebläht und ins Lustige gezogen.

Die Romane haben viele Protagonist:innen und Handlungsstränge, teilen sich aber ein Universum und einen einheitlichen Zeitrahmen. So habe ich die verschiedenen Straßenbeläge durch die absichtsvoll dünnen Schuhsohlen vom Chef der Stadtwache Samuel Mumm/Sam Vine und den vielfältigen Kreaturen seiner Wache ertastet. Ich habe mit dem Patrizier Havelock Vetinari die Stadt regiert und als Rincewind semi-überzeugend in der Unsichtbaren Universität gezaubert. Ich bin auf dem namengebenden Fluss Ankh gelaufen, der so verschmutzt ist, dass man ihn betreten kann. Habe die ekelhaften Straßen-Snacks von Dibbler/Schnapper (nicht) gegessen und mit Orks, Werwölfen, Zwergen und Vampiren zahlreiche Abenteuer erlebt.

Dabei funktioniert die Stadt fast wie eine normale Stadt, nur immer ein bisschen anders. Hier gibt es Magie, die aber nicht immer funktioniert. Es gibt Kameras, aber in ihnen sitzen kleine Gnome, die die Bilder malen. Und der Tod ist eine real existierende Figur, die nur in Großbuchstaben spricht und manchmal Unterstützung von seiner Tochter und dem Rattentod bekommt.

Sunnydale aus der Serie „Buffy“ (1997 – 2003)

[Anja]

Quelle: Anja Manneck

Sunnydale ist der fiktive Schauplatz der amerikanischen Vampirserie “Buffy”, in der die titelgebende Protagonistin Vampire bekämpft. Eigentlich funktioniert Sunnydale mit seinen rund 35.000 Einwohner:innen wie eine normale amerikanische Kleinstadt mit High Schools, einer kleinen Hauptstraße, einem Campus der University of California, einen Club, dem Bronze, und einer bemerkenswerten Zahl an Kirchen (43). Und, genrebedingt, zwölf Friedhöfe, die so stark frequentiert sind, dass Beerdigungen sogar nachts stattfinden.

In den USA gibt es zwar diverse echte Orte mit dem Namen Sunnydale, was man mit “sonniges Tal” übersetzen könnte, aber keines in Kalifornien.

Wo das fiktive Sunnydale dort exakt liegt, bleibt offen; es ist irgendwo in Südkalifornien, etwa zwei Fahrstunden nordwestlich von Los Angeles in der Nähe des Pazifiks verortet. Eindeutig ist aber, dass Sunnydale am sogenannten Höllenschlund liegt. Und hier liegt auch der Ausgang der Coming-of-Age-Serie, denn Buffy muss als Jägerin diesem Ort erhöhter dämonischer Aktivität Herrin werden. Unterstützt wird sie von ihrem Wächter Giles, der zunächst Bibliothekar ihrer Schule ist, und der „Scooby Gang“, bestehend aus der Hexe Willow, dem Werwolf Oz, dem vollkommen unmagischen Xander und den Vampiren Angel und Spike (je nach Staffel in wechselnder Besetzung).

Eine Vampirserie ausgerechnet ins sonnige Kalifornien zu verlegen, gehört zur Karikatur einer kalifornischen Kleinstadt. Aber auch hier erledigt der Höllenschlund seinen Dienst: Obwohl im Kampf gegen das Urböse (First Evil) nach sieben Staffeln am Ende das Gute siegt, bleibt von Sunnydale im Serienfinale lediglich das Ortsschild übrig.

Hiranaprastha aus dem Roman „The Jasmine Throne“ von Tasha Suri (2021)

[Jana]

Das Buch The Jasmine Throne von Tasha SuriQuelle: Jana Wekel

Im ersten Kapitel von „The Jasmine Throne“ begegnen wir Priya, einer der Protagonist:innen, auf dem Weg zum Bazar in der Stadt Hiranaprastha. Wie die Namen schon andeuten, handelt es sich um eine Fantasy-Welt, die von Indien inspiriert ist. 

Ein großer Teil der Geschichte spielt zwar in dem in sich zusammenfallenden Tempel Hirana, und die Handlung erweitert sich im Verlauf inhaltlich und örtlich stetig, aber der Bazar und die Straßen der Stadt setzen klar den Ton: lebendige Beschreibungen der Menschen, der Blumen, der Gerüche, … Ich habe selten eine so atmosphärische Welt gelesen, in sich die moralisch zweifelhaften Charaktere in einen immer komplexeren und mitreißenderen Plot voller religiöser und politischer Feinheiten verstricken.

„The Jasmine Throne“ ist der erste Band der „Burning Kingdoms“-Trilogie. Der zweite Band, „The Oleander Sword“, erschien 2022. Der letzte Band, „The Lotus Empire“, ist für 2024 geplant. Ins Deutsche übersetzt wurden die Romane leider (noch) nicht.

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