To Vorstadt or not to Vorstadt – das ist hier die Frage

Foto: Christina Grevenbrock

Soll ich in die Vorstadt ziehen, oder bleibe ich doch lieber in der (Groß-)Stadt? Diese Frage stellt sich vielen in der mittleren Lebensphase. Was ist vernünftig, wohin zieht mich das Herz? Wir geben euch eine gnadenlos subjektive Entscheidungshilfe.

Hamburg war für mich Liebe auf den ersten Blick. Als ich Landei im Teenageralter das erste Mal Hamburger Boden betrat, war mir klar „Hier will ich mal leben!“ Nach ein paar Umwegen war es soweit und wir bezogen, mittlerweile zu zweit, unsere erste Wohnung auf Hamburger Grund. Dort lebten wir glücklich und zufrieden ein paar Jahre in unserer 60 qm Wohnung am asozialen Arsch der Großstadt – mit Südbalkon, Schimmel und ohne eigenen Garten. 

Irgendwann wurde es uns aber doch zu eng, im Hinterkopf rumorte die Familienplanung, und wir machten uns auf die Suche nach etwas Größerem – zunächst völlig ergebnisoffen. Von einer Wohnung mit Garten über Mehrgenerationenprojekte bis hin zur eigenen Jugendstilvilla konnten wir uns einiges vorstellen. Was allerdings so gar nicht in Frage kam, war einen Neubau auf die grüne Wiese zu setzen. Das kam uns doch arg verschwenderisch vor und auf ein generisches Neubaugebiet in der Walachei hatten wir auch keinen Bock.

Ein Haus, davor das Schild eines Immobilienmaklers mit den Vermerk "Verkauft"Quelle: Christina Grevenbrock
Soll ich mieten oder kaufen? Kaufen ist gruseliger, aber oft lohnenswert.

Mieten oder Kaufen – die Finanzen

Ein Haus zu kaufen ist natürlich erstmal ein echter finanzieller Schnappatmer. Solche Summen ist man als mietende Person erstmal einfach nicht gewohnt. Was man aber auch nicht vergessen sollte: Miete summiert sich über die Jahre ganz schön und am Ende zahlt man brav für etwas, das nur geliehen ist. Außerdem ist die Belastung monatlich effektiv oft kaum zu spüren: Ein Vorteil des Kaufens ist, dass man die sogenannte Annuität, also den Betrag, den man monatlich abbezahlt, an das eigene Einkommen anpasst und mit der Bank gemeinsam festlegt.

Wenn man wie wir in einer Stadt mit hohen Mieten lebt, zahlt man in der Regel monatlich weniger, wenn man kauft, als wenn man mietet. Mir war das vorher nicht so klar. Außerdem ist das Geld hinterher nicht weg, irgendwann gehört einem das Haus oder die Wohnung. Allerdings vergeben Banken ihre Kredite in der Regel nur über die Kaufsumme, die Kaufnebenkosten – Makler, Notar und Grunderwerbssteuer summieren sich zu einer stattlichen Summe, die man auch erst einmal haben muss. Die Höhe ist regional unterschiedlich, meist belaufen sie sich etwa auf 10 – 15% des Kaufpreises. Das muss man auch erstmal haben.

Um unser Traumhäuschen zu finden, haben wir nur drei Häuser besichtigt. Zwei davon auf Hamburger Grund, eines 400m neben der Stadtgrenze in der Vorstadt. Zwei dieser „Objekte“ waren völlige Bauruinen, die uns Handwerkslaien heillos überfordert hätten, eines war theoretisch bezugsfertig. Letzteres war das Vorstadthaus, es gefiel uns äußerst gut und es war außerdem das Günstigste von den dreien. So richtig lange mussten wir also nicht überlegen, welches wir nehmen würden.

Ein Reihenhausblock, davor hohe Büsche.Quelle: Christina Grevenbrock
Ein Reihenhausblock ist ja irgendwie auch nur ein quergelegter Wolkenkratzer …

Nachhaltiger Wohnraum

Mit einer Mietswohnung ist man immer flexibler als mit einer Immobilie. Vergrößern, Verkleinern, ein anderer Stadtteil? Das lässt sich alles mit drei Monaten Kündigungsfrist regeln. Außerdem ist eine Wohnung eigentlich immer nachhaltiger als ein freistehendes Haus. Wenn die eigene Wohnung von oben, unten und der Seite an andere geheizte Wohnungen angrenzt, entstehen pro Partei in der Regel weniger Energiekosten. Und die meisten Wohnungen existieren schon lange vor Einzug und noch lange nach dem Auszug der einzelnen Mieter – das drosselt den Ressourcenverbrauch im Vergleich zu einem Neubau natürlich massiv. 

Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang auch stellen sollte, ist die nach dem Platz. Wie viel Raum braucht eine einzelne Person? Wie viel versiegelte Fläche, Rohstoffe und Energie sollten in die Behausung eines Menschen fließen? Für uns war jedenfalls klar: Ein riesiger Neubau, vollgestopft mit frisch angerührten Ressourcen und Baustoffen aus Ländern, die nicht gerade für soziale Gerechtigkeit und ökologische Produktionsweisen berühmt sind, hätten wir nicht verantworten wollen.

Wir haben die Frage für uns mit einem bereits stehenden Reihenhäuschen mit bescheidenen 80 m² Wohnfläche und einem kleinen Garten gelöst. Eigentlich eine bessere Eigentumswohnung mit Freilauffläche. Unser Häuschen hat so wenig Außenfläche, dass es trotz 50er Jahre Dämmungsstandards und 70er Jahre-Fenstern einen grünen Energieausweis hat. Besonders viele Baustoffe haben wir hier auch in fünf Jahren noch nicht reingetragen.

Quo vadis – die Verkehrsanbindung

Ein Knackpunkt, den jede Person für sich klären sollte, ist die Frage, welche Verkehrsanbindung sie benötigt. Bin ich totaler Autofreak, der eh jede Strecke motorisiert bewältigen möchte (not recommended), kann ich auch aufs platte Land ohne Infrastruktur ziehen. Ein absolutes Muss für mich war eine gute Anbindung an den ÖPNV. Und mit gut meine ich, dass ich keine Lust habe, bei jeder Abendveranstaltung nervös auf die Uhr zu schauen, um bloß die letzte Bahn nicht zu verpassen.

Extrem schön ist es natürlich auch, alle Bedürfnisse des täglichen Lebens zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigen zu können. Das ist alles machbar. Ich bin zu Fuß in kürzester Zeit an zwei U-Bahnstationen, die mich die ganze Nacht nach Hamburg und zurück kutschieren, und ich habe bisher auch nur sehr wenige Bedürfnisse entdeckt, die ich nicht notfalls in einem 5 km Radius erledigen kann. Ach ja, Autobahn und Flughafen sind trotzdem nicht weit weg.

Blick auf einen Wochenmarkt unter Alleebäumen. Verkaufsstände links und rechts, Menschen kaufen ein.Quelle: Christina Grevenbrock
Auf dem Wochenmarkt bekommt man fast alles!

Sein oder nicht sein – Lebensqualität

In punkto Lebensqualität hat mich die Vorstadt wirklich überrascht. Als ich herzog, dachte ich noch, dass ich nun einfach ein bisschen weiter außerhalb von Hamburg leben würde. Und das stimmt einerseits auch, ich komme problemlos und in vertretbarer Zeit in die Hansestadt. Rein theoretisch müsste ich das aber gar nicht. Ich habe noch nie so viele Supermärkte um mich gehabt wie hier und auch sonst kann und will ich gar nicht so viel kaufen, wie ich Läden und Dienstleister:innen um mich habe. Das nächste Einkaufszentrum liegt, genau wie die Kita meines Sohnes nur einen Steinwurf entfernt. Mein Klempner ist mein Nachbar, mein drittliebster Italiener liegt fußläufig und selbst wenn ich Bioprodukte suche, habe ich die Qual der Wahl: Will ich zu Alnatura um die Ecke oder zum Biohof mit angegliederter Kinderbespaßung und Ausflugscharakter eine Fahrradtour oder kurze Autofahrt entfernt? Selbst für den Hobbybedarf ist gesorgt: Soll es lieber der Fahrradladen, Handarbeitsbedarf oder ein Baumarkt sein? Und in welchem Naturschutzgebiet gehen wir heute spazieren?

Es ist alles da, inklusive Dorffeeling. Lange hat es jedenfalls nicht gedauert, bis wir alle unsere Nachbarn und unsere Supermarktmitarbeiter:innen uns wiedererkannt haben. Nur beim Kulturprogramm und den ästhetischeren Konsumbedürfnissen orientiere ich mich dann doch weiterhin lieber zur Großstadt. Ansonsten Hut ab, liebe Suburbia, du hast doch einiges zu bieten!

Christina

Mag Kunst, Gemüse und Nachhaltigkeit.

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