Wer hält Hamburg grün? Katharina Schmidt vom NABU Hamburg im Gespräch

Pflanzen wachsen in verschiedenen Pflanzgefäße aus Paletten und anderen wiederverwendeten Gefäßen. manche sind in siganlblau.

Denke ich an den NABU, den Naturschutzbund Deutschland, fallen mir Naturschutzgebiete, wandernde Kröten, die über Landstraßen getragen werden müssen und dergleichen ein. Ganz sicher aber nicht an die Großstadt. Und trotzdem gibt es den Naturschutz in der Stadt. Wie dieser genau aussieht, darüber habe ich mit Katharina Schmidt vom NABU Hamburg gesprochen.

Gierschmagazin.de: Was sind denn erstmal ganz allgemein die Aufgaben des NABU?

Katharina Schmidt: Wir setzen uns für den Naturschutz in allen Bereichen ein. Sowohl auf praktischer als auch politischer Ebene. Wir sind ein Naturschutzverband, der schon lange existiert, den NABU Hamburg gibt es seit über 110 Jahren. Der NABU ist bundesweit organisiert mit verschiedenen Landesverbänden. Ich arbeite in der Landesgeschäftsstelle Hamburg und bin Referentin für Stadtnatur.

Giersch: Was bedeutet das?

Katharina: Wir haben Stadtnatur definiert als die Natur außerhalb der Naturschutzgebiete und der landwirtschaftlich genutzten Flächen. Also überall dort, wo Natur erstmal unter keinem besonderen Schutz steht, keine große Lobby hat und mit vielen anderen Nutzungsinteressen konfrontiert wird.

Giersch: Beim NABU habe ich erstmal an Naturschutzgebiete, Krötenwanderung und Naturschützer auf dem platten Land gedacht – aber ganz bestimmt nicht an eine wuselige Großstadt. Was macht die Arbeit in Hamburg aus?

Naturschutz ist auch ein urbanes Thema

Katharina: Tatsächlich sind genau das auch Aufgaben in Hamburg. Auch hier gibt es Krötenschutzzäune und Naturschutzgebiete, und zwar gar nicht so wenige. Das sind 36 Gebiete auf etwa 10 Prozent der Landesfläche. Darüber hinaus haben wir Aufgaben, die auf dem Land nicht vorkommen: Wir kümmern uns um öffentliches Grün, Artenschutz an Gebäuden und Unternehmensnatur, dabei geht es um Naturschutz auf Firmenflächen.

Giersch: Hier würde ich gerne ins Detail gehen. Lass uns bei den Grünflächen anfangen. Öffentliche Grünanlagen, Bäume in Parks und am Straßenrand sind doch eigentlich eine städtische Aufgabe. Wie ist da euer Handlungsfeld?

Katharina: Ja klar, die Aufgabe liegt bei den Bezirksämtern, die sind für den Schutz und Erhalt zuständig. Wir setzen uns in Zusammenarbeit mit den städtischen Gremien dafür ein, dass diese Flächen erhalten bleiben und naturnah gestaltet werden. Das geschieht zum Teil ganz praktisch im Rahmen von Aktionstagen, bei denen wir mit Freiwilligen Flächen umgestalten. Zum anderen Teil wirken wir mit unserer Presse- und Lobbyarbeit politisch, etwa dass der Straßenbaumbestand nicht zu stark abnimmt.

Violette Blumen blühen auf einem Gründach. Im Hintergrund ist ein weiterer Gebäudeteil zu sehen.
Gründächer helfen den heimischen Insekten. NABU/Thomas Dröse

Lebensräume in der Stadt schützen

Giersch: Unter Grünflächenschutz kann man sich ja gut etwas vorstellen. Du sprachst aber auch von Artenschutz an Gebäuden. Was hat es denn damit auf sich?

Katharina: Naja, in einer Stadt wie Hamburg gibt es natürlich viele Gebäude. In älteren Häusern gibt es oft viele Möglichkeiten für Vögel wie Mauersegler und Haussperlinge, aber auch Fledermäuse Unterschlupf zu finden. Meine Kolleg:innen vom Vogelschutz achten darauf, dass bei Sanierungen diese Lebensräume nicht verloren gehen.

Giersch: Ich stelle mir vor, dass Gebäudebesitzer nicht ganz so begeistert sind, wenn ihr ankommt und nach dem Erhalt von Löchern für Tiere fragt…

Katharina: Die Reaktionen sind unterschiedlich. Wenn saniert wird, gerade auch bei energetischen Sanierungen, Wärmedämmungen et cetera, werden Schlupflöcher oft abgedichtet. Das geschieht häufig aus Unwissenheit. Dabei ist die Dämmung natürlich sinnvoll und soll passieren, aber eben so, dass die Lebensräume nicht einfach verloren gehen. Wichtig ist, dass die Tiere weiter Unterschlupf finden und Maßnahmen nicht während ihrer Brutzeiten vorgenommen werden. Im Zuge der Sanierung müssen gegebenenfalls alternative Lebensräume angeboten werden.

Giersch: Geht es dann dabei vor allem um Altbauten?

Katharina: Nein, wir versuchen auch anzuregen, bei Neubauten Lebensräume für Tiere gleich mit einzubauen. Eine gute Option sind spezielle Nistkästen, die man direkt in die Fassade integrieren kann, sogar mit eingebauter Wärmedämmung. Nistkästen wurden beispielsweise an den Gebäuden der University of Applied Science Europe in der Museumsstraße und der Stage School Hamburg Am Felde verbaut.

Firmen in die Pflicht nehmen

Giersch: Du sprachst vorhin auch von Unternehmensnatur. Das klingt spannend. Was ist damit gemeint?

Katharina: Das Projekt läuft bereits seit 2014 in Zusammenarbeit mit der Umweltbehörde und der Handelskammer. Dabei machen wir Beratungsangebote für Firmen, wie sie ihre Flächen unter Naturschutzaspekten verbessern können. Ziel ist, das Potenzial, das auf vielen Gewerbeflächen vorhanden ist, besser zu nutzen. Das geht natürlich immer nur in dem Rahmen, in dem es die Firmenstätigkeit nicht behindert. Ein Pilotprojekt war beispielsweise das Gelände eines großen Autoherstellers. Dort wurden eine große Blumenwiese und Staudenbeete angelegt sowie Nistkästen an die Hallen gehängt.

Giersch: Sind das vor allem große Konzerne die dabei mitmachen?

Katharina: Nein, keineswegs. Uns interessieren auch die kleinen Betriebe. In Hamburg gibt es über 170.000 Unternehmen. Wenn kleine Firmen kleine Verbesserungen implementieren, summiert sich das. Das können schon Kleinigkeiten wie ein Nistkasten an der Wand oder ein naturnahes Beet im Eingangsbereich sein. Mein Lieblingsbeispiel ist ein Logistikunternehmen in Wilhelmsburg, die fast ihr gesamtes Gelände versiegeln müssen, um mit ihren Lkw dort fahren zu können. Der Geschäftsführer hat dann aber überall, wo es ging, Sand aufgeschüttet und diese Flächen der Besiedelung durch Spontanvegetation überlassen. Eine einfache, aber effektive Maßnahme.

Eine Wiese voller Wildblumen, im Hintergrund stehen Insektenhotels.
Die Wildblumenwiese an der Palmaille bietet heimischen Insekten Schutz und Futter. NABU/Soenke Jansen

Was kann ich als Stadtbewohner:in für den Naturschutz tun?

Giersch: Wo können sich Hamburger:innen denn eure Aktivitäten anschauen?

Katharina: Aktuell gibt es einige Wildblumenwiesen, die sich gut entwickeln, beispielsweise in Barmbek die Schmetterlingswiese am Osterbekkanal, in Altona neben der Palmaille 35 oder im Eimsbütteler Stadtpark. Dann gibt es den NABU Naturgarten an der Bebelallee. Das ist ein Schaugarten, in dem sich interessierte Beispiele für naturnahe Gartengestaltungen anschauen können. Hier gibt es regelmäßig Besichtigungstage, aber man kann natürlich auch jederzeit einfach über den Zaun schauen.

Giersch: Hast du denn ein paar konkrete Tipps für unsere Leser:innen? Was kann man als Stadtwohnungsbewohner:in für den Naturschutz tun?

Katharina: Wenn man einen Balkon hat, kann man schon ziemlich viel tun, indem man darauf achtet, was man so pflanzt. Generell hilft es, auf Vielfalt zu setzen, heimische Arten zu nutzen und Wildformen zu pflanzen. Dort finden Insekten Unterschlupf und Nahrung. Deshalb sollte man auch Pflanzen mit gefüllten Blüten meiden. Diese bieten nämlich keine Nahrung für Insekten. Dann kann man auch auf dem Balkon Nisthilfen aufhängen.

Giersch: Und wenn man gar keinen Balkon hat?

Katharina: Auch wer die Möglichkeiten nicht hat oder einfach noch mehr tun möchte, kann aktiv werden. Alle, die Lust auf Stadtgestaltung und Gärtnern haben, können sich an die Bezirksämter wenden und Grünpatenschaften abschließen. Das ist gar nicht so kompliziert und bedeutet in der Regel, dass man die Bepflanzung für eine kleine Grünfläche, etwa um einen Stadtbaum herum, übernimmt. Grünpatenschaften gibt es in fast allen deutschen Städten, für Hamburg findet man hier die zuständigen Stellen und alles Wichtige.

Eine Frau steht in einem Park, und lächelt in die Kamera. Sie trägt einen blauen NABU Pullover.
Katharina Schmidt vom NABU Hamburg, NABU/Thomas Dröse

Grünflächen in der Stadt erhalten

Giersch: Bezieht ihr eigentlich auch Stellung zu Stadtentwicklungsthemen?

Katharina: Ja, auf jeden Fall! Als Naturschutzverband werden wir offiziell an Bebauungsplänen und Planfeststellungsverfahren beteiligt. Das machen wir gemeinsam mit sechs anderen Verbänden in der Arbeitsgemeinschaft Naturschutz. Und auch sonst tauschen wir uns mit den Hamburger Behörden aus, auch was beispielsweise Ausgleichsmaßnahmen angeht.

Giersch: Was bedeutet das?

Katharina: Wenn etwa ein Gebäude gebaut wird, muss ein bestimmter Ausgleich für die zerstörte Grünfläche geschaffen werden. Das kann ganz unterschiedlich aussehen, je nach Eingriff. Wenn etwa an einer Stelle ein Trockenrasen zerstört wurde, muss anderswo ein neuer angelegt werden. Wir wünschen uns immer einen ortsnahen Ausgleich, also dass die neue Trockenwiese dann möglichst nah und nicht am anderen Ende von Schleswig-Holstein gepflanzt wird.

Giersch: Passiert das denn in Hamburg?

Katharina: Jetzt nicht mehr. Im Nachgang zu unserer Voksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ hat der Senat dieses Jahr den „Vertrag für Hamburgs Stadtgrün“ geschlossen. Der schützt neben Geldern und Stellen im Umweltschutz auch die Hamburger Grünflächen mit zusätzlichen Maßnahmen. Diese dürfen eigentlich nicht weiter bebaut werden. Wenn Teile davon doch bebaut werden, müssen diese Flächen im Stadtgebiet kompensiert werden. Das geht über die gesetzliche Regelung hinaus. Außerdem dürfen die Landschaftsschutzgebiete insgesamt nicht an Fläche verlieren. Das freut uns natürlich sehr.

Giersch: Wenn du die Stadt gestalten könntest, wie du wolltest, welche Visionen hättest du für Hamburg?

Katharina: Ich würde mein Augenmerk auf die Grünflächen legen. Die Stadt braucht mehr zusammenhängendes Grün. Das müsste in stadtplanerischen Verfahren immer mitgedacht werden. Diesbezüglich gibt es noch Luft nach oben, man denke nur an die Hafen City oder die Neue Mitte Altona. Wenn ich das bestimmen könnte, wären diese Flächen auch nicht so totgepflegt, sondern viel wilder.

Giersch: Vielen Dank für das Gespräch!

Christina

Mag Kunst, Gemüse und Nachhaltigkeit.

1 Kommentar

  1. […] ihren Beitrag zum Artenreichtum einer Stadt, indem sie als Futter- und Rückzugsort sowie als Trittsteinbiotop dienen. Das heißt, dass sie Verbindungen für die Tiere und Pflanzen zwischen größeren […]

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