Kolumne: Warum Tiere nicht niedlich sein müssen

dicke graue Katze leckt ihre Fote, ihre Azgen sehen aus, als ob sie lächelt
Foto: Unsplash/ Eric Han

Während ich mich durch Tier-Content in meinen Social-Feeds gescrollt habe, habe ich mir irgendwann die Frage gestellt: Muss ein Tier niedlich oder spektakulär sein, damit wir Menschen es mögen? Eine Kolumne zu Tieren auf Social Media und wie wir damit umgehen.

Flauschig klickt sich

Heute habe ich ein Video von einem sehr kleinen Katzenbaby gesehen, das unglücklich guckt, weil es die Medizin nicht mag, die ihm die Tierärztin verabreichen muss. Außerdem gab es einen Tweet mit einem sehr …enthusiastischen Kakapo und ein Reel eines frisch geschlüpften Seidenspinners, der aussieht, als wäre er aus einem Animations-Film entsprungen. Und weil ich bei Instagram mal auf entsprechenden Videos hängengeblieben bin, werden mir jeden Tag Reels von schlauen Krähen im Park vorgeschlagen und diese Clips, in denen einer Eule die Federn hochgeschoben werden, sodass man sieht, dass sie eigentlich ganz lange Beine hat.

Ein ganz normaler Vormittag, an dem ich zu viel am Handy bin. Aber trotzdem hat mich der Tier-Content zum Nachdenken gebracht. Denn die Art, wie Tiere da präsentiert werden, und die auch mich immer wieder an solchen Clips oder Bildern hängenbleiben lässt, wirft nicht unbedingt ein gutes Licht darauf, wie wir die Lebewesen um uns herum wahrnehmen. (Ganz zu schweigen, dass man nicht immer wissen kann, ob die Tiere in den Clips auch gut behandelt werden.)

Während wir Mücken, Käfer oder Stadttauben als unangenehme Plagegeister wahrnehmen und die meisten Menschen Rinder, Schweine und Hühner noch immer am liebsten als anonymes Supermarktprodukt auf ihren Tellern verwerten, haben unsere Hunde und Katzen Namen und Persönlichkeiten, staunen wir über majestätische Löwen in Naturdokus oder im Zoo, teilen Reels von süßen Eulen oder roten Pandas und gruseln uns halb fasziniert, halb angeekelt vor Fotos von Haien, Spinnen oder cthulhuesken Schleimaalen.

Wenn man sich im Tier-Content-Internet umschaut oder auch abseits der sozialen Medien ein Auge darauf hat, wie Tiere am liebsten wahrgenommen werden, kommt man schnell zu einem Schluss: Damit wir es mögen, scheint ein Tier eines dieser Kriterien erfüllen zu müssen:

1. Es ist niedlich und uns sehr ähnlich

Entweder soll das Tier also süß sein, flauschig und harmlos und mit Kindchenschema unsere Beschützerinstinkte wecken. Machmal projizieren wir auch Ähnlichkeit zu uns in sein Verhalten. Wir finden es #relatable, wenn der Hund schlecht gelaunt in Montagsstimmung zu sein scheint, freuen uns über Ratten, die mit ihren Pfoten die kleine Bilder gemalt haben, oder lachen, wenn wir die Fotostrecke von den Katzen sehen, die von der Realität des Elterndaseins komplett überfordert zu sein scheinen.

Was beide Typen von Tier-Content gemein haben: Tiere werden nach menschlichen Kriterien gesehen. Wir projizieren unsere Gefühle in ihr Verhalten hinein, egal ob die Tiere die Welt überhaupt so wahrnehmen können wie wir Menschen.

2. Es gefährlich, spektakulär und sehr anders als wir

Und dann ist da die andere Art von Tier-Content: Alles was unter krass und freaky fällt: gefährliche Raubtiere, giftige Schlangen, bizarre Tiefseekreaturen. Bildergalerien von knallbunten Schnecken oder Fröschen, dieser hüpfende kastenförmige Paradiesvogel als Reaction-GIF. Hauptsache, es lässt einen mit offenem Mund zurück.

Warum diese Tiere so sind, wie sie sind – bunt oder giftig oder seltsam – das interessiert wenn überhaupt erst in zweiter Linie. Wichtig ist ihre Andersartigkeit, über die man staunen, lachen oder sich ekeln kann. Die Natur als Freakshow, die ganz weit weg ist vom aufgeräumten Leben der Menschen.

flaschiges Zwergkaninchen sitzt auf grünem RasenQuelle: Martina John
Klein, rund und flauschig – besser geht nicht!

Bin ich denn besser?

Natürlich möchte ich gerne glauben, dass ich einen reflektierteren Blick auf die Natur habe. Schließlich habe ich als Kind gerne Steine umgedreht und mich über die Krabbeltiere auf der Unterseite gefreut: Asseln, Ohrenkneifer, kleine Spinnen. Nerd-Mädchen, das ich war, habe ich diese Biotope aus einer kindlichen Forscherinnen-Perspektive betrachtet: Ich fand es spannend, was da alles lebte und wie viele verschiedene Tierarten ich schon im Garten meiner Eltern entdecken konnte.

Aber auch meine kindliche Faszination für Krabbelgetier macht mich nicht davon frei, Tiere als Spektakel zu sehen. Es ging mir damals vielleicht nicht um flauschige Niedlichkeit, aber schon darum, wie interessant oder selten die Tiere waren. Ich habe als Kind auch Dinosaurier nach Größe und Gefährlichkeit sortiert. Bunte Schmetterlinge wie das Tagpfauenauge waren toller als ein schnöder Kohlweißling und im Teich einen Gelbrandkäfer zu entdecken aufregender als die Rückenschwimmer und Wasserläufer, die es in großen Mengen gab.

Als Erwachsene quietsche ich vor Begeisterung wenn ich mir süße Internet-Videos von Katzenbabys, Kaninchen oder Pfeifhasen (wartet auf das Geräusch!!) anschaue. Gerade habe ich mich zum Beispiel ganz furchtbar über diesen Clip von Raben, die im Schnee spielen, gefreut. Die Haustiere, die ich in meinem Leben hatte und die Pferde, die ich geritten bin, habe ich mit Sicherheit enorm vermenschlicht. Genauso wie die Hunde und Katzen meiner Freund:innen, die auf jeden Fall alle eine eigene Persönlichkeit haben.

eine gelbe Schnecke kriecht über Baumrinde, im Hintergrund grünes MoosQuelle: Martina John
Hätte ich diese Schnecke fotografiert, wenn sie einfach nur braun wäre?

Den Blick erweitern

Nichts an diesen Attitüden ist inhärent falsch. Es ist nur menschlich, dass wir in der Natur nach dem suchen, was uns ähnlich ist. Und das sind nun mal eher Säugetiere mit Kindchenschema als sechsbeinige Kerbtiere.

Und auch das Bedürfnis nach buntem Spektakel ist in sich nicht verwerflich: Auch das ist Teil der menschlichen Natur, dass uns das Bunte, Große, Außerordentliche nun einmal mehr anspricht als das Unauffällige und Gewöhnliche.

Dokumentarfilmer:innen machen sich das zum Beispiel zunutze. Das Bedürfnis nach immer neuen spektakulären Bildern lässt uns bei Naturdokus einschalten, die dann nicht mehr nur die Schönheit unseres Planeten, sondern auch die Bedrohungen durch Klimawandel, Plastikmüll und andere menschengemachte Katastrophen vermitteln und so zumindest Awareness für diese Themen erzeugen.

Solange wir den Blick auf das große Ganze nicht verlieren – die Ökosysteme um uns herum funktionieren eben nur, wenn es auch die kleinen, unauffälligen oder aus unserer Perspektive ekligen Spezies gibt – dürfen wir uns auch über Katzen- und anderen Tiervideos freuen, sofern es den Protagonisten darin gut geht, natürlich.

Trotzdem: Die Natur schuldet uns gar nichts. Weder süß zu sein, noch Entertainment zu liefern. Denn als Menschen sind wir keine Zuschauer:innen von außen, sondern Teil des Ganzen, auch in unseren Häusern und vor unseren Handy- und Computerbildschirmen.

Wer sich über Flausch-Content und Freak-Fische freut, sollte sich vielleicht auch die Mühe machen, die Namen der Spezies zu lernen, die er oder sie da gerade medial „konsumiert“ und sich darüber zu informieren, warum sie so sind wie sie sind und wie man sie schützen kann – denn das funktioniert über das Internet nämlich auch…

Martina

Mag Architektur, Tiere und Internetkultur

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