Jetzt, wo endlich die Sonne scheint, wollen wir raus! Grüne Ziele gibt es in und um Hamburg ja genug, heute entscheiden wir uns für den Ohlsdorfer Friedhof, die Rhododendronblüte wollen wir uns nicht entgehen lassen – und der Parkfriedhof ist so groß, dass wir bei jedem Besuch etwas Neues entdecken.
Die Sonne scheint, eine Amsel singt. Im Gras versteckt liegt ein Rehkitz. Dem können wir uns unbedarft näher, steinern, wie es ist, wird es nicht vor uns davon laufen. Die Maisonne – endlich! – nutzen wir für einen Familienspaziergang über den Ohlsdorfer Friedhof und lassen uns ganz nebenbei noch inspirieren, schließlich suchen wir gerade einen Namen für unser 2. Kind.
Direkt an der S- und U-Bahn Ohlsdorf liegt der Ohlsdorfer Friedhof, der mit fast vier Quadratkilometern der größte Parkfriedhof der Welt und gleichzeitig eine der schönsten Grünanlagen Hamburgs ist. Wer mag, besorgt sich noch einen Kaffee an der S-Bahn oder hat das Picknick im Gepäck und los geht’s.
Besonders beim ersten Besuch fällt die Entscheidung schwer: Entdecke ich, was es eben zu entdecken gibt oder möchte ich einem Plan folgen? Der Ohlsdorfer Friedhof bietet digital oder analog vorbereitete Spaziergänge an, zum Beispiel „Vom Bestattungsforum zur Dichterecke“, der an den Gräbern des Hamburger Schriftstellers Wolfgang Borchert (1921-1947) und der Intendantin Ida Ehre (1900-1989) vorbeiführt. Neben Hamburger Prominenz wie Carl Hagenbeck (1844-1913), Alfred Lichtwark (1852-1914) und Johann Georg Mönckeberg (1839-1908) liegen hier auch andere Berühmtheiten wie der Maler Philipp Otto Runge (1777-1810), die Schauspielerin Inge Meysel (1910-2004) oder der Journalist und Literaturkritiker Hellmuth Karasek (1934-2015).
Wir wollen uns heute treiben lassen und schlagen den Weg nach links in die Nebenallee ein, eine konkrete Wegbeschreibung können wir also nicht geben. Unsere Erfahrung zeigt, dass es mehr Spaß macht, den Friedhof ganz ohne Plan zu erkunden, obwohl man dabei eine Stelle nur durch Zufall ein zweites Mal findet. Gerade das macht aber den Reiz aus.
Davon abgesehen, ist ein geplanter Weg mit unserem Kind nur schwer zu machen, wenn es doch noch so viele andere Ecken zu entdecken gibt. Neben befestigten Straßen, die von den Buslinien 170 bzw. 270 bedient werden und insgesamt 22 Haltestellen anfahren, gibt es Schotterwege und Pfade, die zu teilweise überwucherten Gräbern, überraschenden Durchblicken und verwunschenen Örtchen führen. Gerade jetzt, Ende Mai, blühen die Rhododendren und zeigen ein prachtvolles Farbspiel.
Zwischendurch entdecken wir doch noch eine Berühmtheit: Die Plastik eines lesenden Knaben weckt unsere Aufmerksamkeit, dann lässt uns der Schriftzug C.W. Ceram stocken. Hier liegt der Verfasser von „Götter, Gräber und Gelehrte“, einem internationalen Bestseller über die Geschichte der Archäologie, der sicher Wegbereiter/Inspiration für zahlreiche geisteswissenschaftliche Karrieren war.
Irgendwann stehen wir vor Kapelle 8, die ein oberirdisches Kolumbarium beherbergt. Ganz beeindruckt von der Ruhe, die der Raum ausstrahlt, ziehen wir weiter. Den stillen Weg lassen wir mit unserem wuseligen Kind aus. Beim Spaziergang sollte man nicht vergessen, dass gerade die aktuellen Gräber auch Zugehörige haben. Also auf dem Friedhof lieber so verhalten, wie es der Respekt den Mitmenschen gegenüber gebührt. Gerade beim Mausoleum Riedmanns sieht man erst auf den 2.Blick, dass dort anonyme Beisetzungen stattfinden.
Auf unserem Weg begegnen uns immer wieder liebevoll gepflegte Gräber ganz unterschiedlichen Alters. Einige Sinnsprüche berühren uns. Wer liegt da bestattet? Welche Geschichte steht hinter den Tafeln?
Immer wieder haben wir Gelegenheit, das Naturschauspiel auf dem Friedhof zu beobachten. Hier huscht ein Eichhörnchen über den Weg, auf einem anderen Grabstein entdecken wir ein Rotkehlchen. Unser Kind ist von den Küken der Graugänse ganz angetan. Wir nehmen uns vor, das nächste Mal unbedingt den Naturlehrpfand und das Prökelmoor zu erkunden – falls wir nicht doch wieder vom vorgesehenen Weg abkommen.
So ein Spaziergang macht hungrig und deshalb lädt – sofern es die Corona-Pandemie zulässt – das Café Fritz im Bestattungsforum zu einer Stärkung ein, von Kuchen bis Currywurst ist die Karte reichhaltig und definitiv einen Besuch wert. Alternativ findet sich um die Ecke das gemütliche Café Schwesterherz mit Goldrandgeschirr, Kuchenbuffet und freundlichem Team, das zum Pausemachen einlädt. Und auch in der Namensfindung hat unser Spaziergang uns weitergebracht: Das Kind wird weder Hildegard noch Harald heißen.