In gotischen Bibliotheken alte Bücher durchblättern, im Herbstnebel durch fallendes Laub spazieren und mit Freund:innen bei Tee oder Kaffee über klassische Literatur diskutieren – all das gehört zum Internet-Phänomen Dark Academia. Viel davon spielt sich auf einem altehrwürdigen Uni-Campus oder in einer atmosphärischen Uni-Stadt ab. Was steckt hinter dem Hype?
Was ist überhaupt Dark Academia?
Dark Academia ist ein bestimmter vibe: Es geht ums Lernen, vor allem von Geisteswissenschaften, ein romantisches Bild vom Studium in alten Bibliotheken. Es wird noch von Hand mit Füllfederhaltern geschrieben und auf Vintage-Möbeln werden schick angerichtete Heißgetränke getrunken, alles in vornehmlich dunklen Farbtönen.
Diese Ästhetik gibt es so oder so ähnlich schon seit einer ganzen Weile, einen Sprung hat sie aber gemacht, als das Internet im Jahr 2020 den 1992 erschienenen Roman The Secret History von Donna Tartt wiederentdeckt hat. Darin versuchen fünf Griechisch-Student:innen, einen Mordfall zu vertuschen. Insbesondere der erste Teil des Romans schildert den Alltag an einem elitären Liberal Arts College in Vermont, und welche Probleme der Protagonist hat, in der Welt seiner privilegierteren Kommiliton:innen Fuß zu fassen.
Die vibes dieses College-Campus sind im Jahr 2020 auf fruchtbaren Boden gefallen, weil Studierende in keiner Bibliothek und keinem Hörsaal saßen, sondern im Lockdown. Dark Academia ist nicht der einzige Trend, dessen Popularität mit den Lockdowns zusammenhängt: Die wachsende Popularität der imaginären Landidylle von #CottageCore fällt zum Beispiel ebenfalls in diesen Zeitraum.
Gibt es Dark Academia Städte?
Auch ganze Städte beziehungsweise ihre Zentren können einen Dark Academia vibe haben, vor allem, wenn dort viele ästhetische Altbauten vorhanden sind. Oben auf der Liste stehen natürlich Städte, die auch eine alteingesessene Universität haben wie Oxford, Cambridge oder Heidelberg.
Ich weiß noch, wie begeistert ich war, als ich mit 16 das erste Mal in Oxford war und die ganze Stadt mir wie ein großer Wissensspeicher erschien, der nur darauf wartet, dass man sich tiefer hineinwagt.
Der Uni-Campus hat aber nicht zwangsläufig das gleiche Alter oder Aussehen wie die Stadt: Die University of Kent in Canterbury besteht zum Beispiel aus sandfarbenden 1960er Bauten, obwohl Fotos von der Stadt an sich durchaus #DarkAcademia getaggt werden könnten.
Kritik an und durch Dark Academia
So hübsch die Bilder auf Instagram oder Tumblr auch aussehen, es liegen doch einige Probleme auf der Hand: mit der ‚klassischen‘ Literatur ist doch meist der westliche Kanon gemeint, das Ganze wirkt sehr weiß und eurozentrisch, und manchmal entsteht der Eindruck, als wäre es erstrebenswert, regelmäßig so lange zu lernen, bis man über den aufgeschlagenen Büchern einschläft.
Dabei ist es gar nicht so, als würde The Secret History das Studium der Klassischen Philologie und den triefenden Elitismus verherrlichen – ganz im Gegenteil. (Wer Interesse an einem Deep Dive ins Thema The Secret History und das Verhältnis des Romans zur Uni-Realität hat, kann gerne in meinem Podcast Unklassisch vorbeihören.)
Das dunkle Erbe akademischer Städte
Auch bei den Städten sind Kritik und Abgründe oft nur einen Schritt hinter der ästhetischen Fassade. Wenn ich heute an Oxford denke, dann vor allem an die Diskussionen um das kolonialistische Erbe, bei dem der Streit um die Statue von Cecil Rhodes nur die Spitze des Eisbergs darstellt.
Genau dieses Erbe wird in einem der erfolgreichsten neuen Dark Academia Romane kritisiert: In Babel setzt R. F. Kuang sich damit auseinander, wie akademische Institutionen die Vormachtstellung des British Empire zementierten.
Genau deswegen finde ich Dark Academia spannend: Weil der Trend und die daraus entstehenden Romane nicht nur all of the vibes mitbringen und keineswegs nur aus schicken Instagram-Bildern bestehen (auch wenn die wirklich sehr schick sind), sondern uns dazu zwingen, die Fassade der westlichen, elitären Bildung kritisch zu hinterfragen.