Nachverdichtung: Wie eng darf die Stadt werden?

Hamburger Innenstadt von der Nikolaikirche aus gesehen
Foto: Martina John

Wenn die Stadt nicht in die Breite, sondern nach oben und nach innen wächst, spricht man von Nachverdichtung. Die stadtplanerische Strategie kann nachhaltig neuen und bezahlbaren Wohnraum schaffen und Grün- und Sickerflächen bewahren. Gleichzeitig hat das Prinzip aber auch seine Kritiker:innen. Hier erfahrt Ihr mehr.

Ich wohne in einem Altbau, aber gleichzeitig auch nicht. Denn als der Häuserblock in meinem Viertel vor über 100 Jahren gebaut wurde, hat man die Häuser zwei Stockwerke niedriger angelegt – erst um die Jahrtausendwende wurden Neubauwohnungen auf die vorhandene Stockwerk-Struktur aufgesetzt. Ein typisches Phänomen der Nachverdichtung – die gewachsene Stadtstruktur wird genommen und nach oben oder in vorhandene Lücken hinein verdichtet.

Was ist Nachverdichtung?

Nachverdichtung bedeutet vor allem, dass beim Neubau von Gebäuden freie Flächen innerhalb der bereits bestehenden Bebauung einer Stadt genutzt werden. Also erschlossene Substanz anstelle vom Bau auf der grünen Fläche. Die Stadt wird dichter statt breiter.

Typische Techniken der Nachverdichtung sind:

  • Der Ausbau von Dachgeschossen oder das Aufsetzen zusätzlicher Stockwerke
  • Das Bauen in zweiter Reihe, zum Beispiel in Innenhöfen
  • Anbauten, die an vorhandene Häuser andocken
  • Der Abriss vorhandener Strukturen, zum Beispiel wenig genutzte Gewerbeflächen, und die Neuerrichtung dichterer oder höherer Wohn- oder Gewerbebauten an dieser Stelle

Die sortierte Stadt hat viele Vorteile

Richtig geplant wirkt sich die Nachverdichtung positiv auf das Verhältnis von Stadtraum und Natur aus. Denn da, wo die Menschen nah aneinander wohnen, bleibt mehr Raum für die Natur übrig. Wenn alle ihre Häuser mit Abstand wild auf freies Land bauen würden, wuchert die Stadt ins Umland hinein, es kommt zur Zersiedelung.

Nachverdichtung ist auch Teil des Prinzips der Schwammstadt — denn anstatt dass Parks und Grünflächen bebaut werden, die wichtige Auffangflächen für Regenwasser sind und die Stadt klimatisieren, wird da gebaut, wo die Fläche eh schon genutzt wurde.

Und natürlich schafft die Nachverdichtung neuen Wohnraum – gerade in den beliebten Vierteln mit seit Jahrhunderten bestehender Altbau-Bebauung ist der Weg nach oben oder nach innen oft die einzige Option.

Feldstraßenbunker in Hamburg vor buntem NachthimmelQuelle: Martina John
Auch eine Form von Nachverdichtung: Das Aufstocken des Feldstraßen-Bunkers in Hamburg.

Kritik an der Nachverdichtung

Wenn in dicht bebaute Viertel noch mehr Wohnungen gequetscht werden, sorgt das nicht nur für Freude. Hohe Gebäude werfen Schatten und Innenhöfe, in denen Häuser statt Bäumen stehen, können bei den Bewohner:innen der umstehenden Gebäude für Unfrieden sorgen, so wie in diesem SPIEGEL-Artikel von 2018 beschrieben – Neubauten rauben gerade Erdgeschosswohnungen das Licht.

Sehr dicht bebaute Viertel haben auch Nachteile für die dort lebenden Tiere und Pflanzen. Denn die kleinen Vegetationsinseln, die zum Beispiel der Nachverdichtung eines Innenhofs zum Opfer fallen, stellen wichtige Lebensräume für Kleintiere dar und bieten Kulturfolgern Nahrung und Zuflucht.

Da, wo mehr Menschen wohnen, entsteht mehr Verkehr – Autos müssen parken, die Leute wollen zur Arbeit und wieder nach Hause kommen. Auch der ÖPNV wird stärker belastet, wenn in einem Viertel plötzlich mehr Menschen leben als zuvor. Dementsprechend kann durch den zunehmenden Verkehr die Feinstaub-Belastung steigen. Dichte Bebauung beeinflusst die Luftzirkulation in der Stadt. Es können Wärmeinseln entstehen, da sich die Stadt durch fehlende Bäume und viel Wandfläche nicht mehr gut abkühlen kann – in Zeiten der durch den Klimawandel immer heißer werdenden Sommer ein Problem.

Woher den Wohnraum nehmen?

Es bleibt die alte Frage – wem gehört die Stadt? Und wie kann man dafür sorgen, dass alle gerecht darin leben können? Wenn in den beliebten Gegenden mit Blockrandbebauung nicht nur die wohlhabenden Menschen leben sollen, die sich diese Viertel (noch) leisten können, braucht es da auch bezahlbaren Wohnraum. Aber wie eng kann man ein Viertel bebauen, dass es lebenswert bleibt – für alle?

Martina

Mag Architektur, Tiere und Internetkultur

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