Moose in der Stadt: Von Grau zu Grün

Moos und Efeu auf einer Ziegelmauer
Foto: Martina John

Wenn man genau hinschaut, entdeckt man das Leben in jeder Ritze der Stadt: Auf Betonwänden, im Kopfsteinpflaster, auf Brücken und an Denkmälern findet man Moose, Algen und Flechten. Was da genau wächst, was der Unterschied zwischen Moos und Flechten ist und welchen Beitrag der grüne Bewuchs zum urbanen Ökosystem leistet, erfahrt ihr hier.

Moose sind Pionierpflanzen

Wenn es auf Stein oder Beton grün wird, beginnt dies oft mit einem Algenfilm auf einer feuchten, schattigen Seite. Als nächstens kann bei günstiger Witterung und guter Luftqualität ein buschiger Moosbewuchs folgen.

Denn bei Moosen handelt es sich um Pionierpflanzen. Nicht nur, weil sie keine Erde zum Wachsen brauchen – sie haben keine Wurzeln und finden deshalb auch auf Steinen und Ziegeln Halt.

Auch im erdgeschichtlichen Sinn war das Moos schon früh dabei. Vor 400 bis 450 Millionen Jahren haben sich die ersten Moosarten aus grünen Algen entwickelt und als eine der ersten Pflanzen das feste Land besiedelt. Heute wachsen Moose überall da, wo es genug Feuchtigkeit und eine einigermaßen raue Fläche gibt, auf der sie ihre grünen Polster ausbreiten können.

Moos auf einem Zaun aus Ziegelsteinen, man erkennt die einzelnen Pflänzchen, die das Büschel ausmachenQuelle: Martina John
Wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass ein Moosbüschel aus vielen kleinen Blättchen besteht.

Weich und wurzellos: Was Moose so besonders macht

Moose gehören zu den Pflanzen. Allerdings handelt es sich bei den Bryophyta, so ihr wissenschaftliche Name, um eine sehr primitive Abteilung des Pflanzenreichs. Ein Prototyp sozusagen, der sich lange vor den komplexer aufgebauten Bäumen und Blütepflanzen entwicklte.

Viele kleine Moospflänzchen bilden zusammen eines der grünen Polster, die wir gemeinhin als „Moos“ wahrnehmen. Wie fast alle anderen Pflanzen enthalten auch sie Chlorophyll, den grünen Farbstoff, mit dem sie Fotosynthese betreiben.

In ihrer Wasserversorgung unterscheiden sich Moose jedoch von ihren größeren Pflanzenkollegen. Ihnen fehlt das sogenannte Stütz- und Leitgewebe, das Wasser und Nährstoffe zum Beispiel bei einem Baum von den Wurzeln bis in die Krone transportiert. Um ordentlich mit Wasser versorgt zu werden, braucht Moos eine feuchte Umgebung – daher ist es im Wald oder auf der Kellertreppe häufiger zu finden als auf dem Südbalkon oder auf der Sanddüne.

Während es im Wald in großen Teppichen zu finden ist, wächst Moos in der trockeneren Umgebung von städtischen Bürgersteigen oder Gebäudewänden meist eher in Büscheln oder kleinen Flecken. Wenn sie eng zusammenrücken, ist es für die einzelnen Moospflänzchen einfacher, das Wasser der Umgebung gemeinsam zu nutzen und zu speichern.

Moosbewuchs auf einem Ast im Dschungel von Costa RicaQuelle: Martina John
Moose lieben es feucht. Hier im tropischen Nebelwald fühlen sie sich besonders wohl.

Moose und Flechten: Was ist der Unterschied?

Auf den ersten Blick sind sich Moose und Flechten recht ähnlich: Beides grünliches Zeug, das flach auf Steinen oder Holz wächst und sich fundamental von den uns vertrauten Pflanzen wie Bäumen, Gräsern oder Blumen unterscheidet. Nur beim Moos handelt es sich jedoch tatsächlich um Pflanzen.

Flechten hingegen sind keine Pflanzen, sondern eine symbiotische Lebensgemeinschaft aus Pilzen und bestimmten Grünalgen. Der Pilz, der sogenannte Mykobiont, profitiert von den Nährstoffen, die die Alge, der Photobiont, über Fotosythese herstellt. Die Alge hingegen wird durch das Pilzgewebe vor Austrocknung geschützt. Auch gegen andere Umwelteinflüsse kann der Mykobiont seine Partnerin abschirmen.

In der Stadt sieht man sie meistens als eher unspektakuläre gräuliche oder gelbliche Kreisstrukturen auf Stein, aber Flechten gibt es in den verschiedensten Formen und Farben – von den märchenhaft anmutenden Becherflechten (Cladonia), die in der Anglosphäre als „Pixie Cups“ bekannt sind (Stichwort „Goblincore„), bis zu den langen Vorhängen des Spanischen Moos (Tillandsia usneoides) ist alles dabei.

Gelbe und graue Flechten auf einem AstQuelle: Christina Grevenbrock
Gelb, grau und ein Zeichen für gute Luft: Auf diesem Baum wachsen gleich zwei Flechtenarten.

Moose im urbanen Ökosystem

Moose mögen Felsen, davon könnt ihr euch bei jeder Bergwanderung überzeugen. In der Stadt suchen sie sich stattdessen Beton und Stein. Die sogenannte „Urban Cliff“-Hypothese beschreibt nicht nur, wie wichtig eine Landschaft mit felsigen Klippen für die menschliche Kulturgeschichte ist, sie besagt auch, dass die vertikale Wandflächen in Städten ähnliche Ökosysteme produzieren wie Felswände in der Natur – nicht nur Moose, auch Stadttauben (eigentlich Felsentauben) haben sich auf den urbanen Klippen angesiedelt.

Wenn ihr in eurem Stadtviertel viel Moos und viele Flechten findet, ist das übrigens ein gutes Zeichen. Denn beide Organismen reagieren sensibel auf Luftverschmutzung. Wachsen sie üppig, weist das auf gute Luftqualität hin.

Dass Moose so empfindlich sind, liegt daran, dass ihre Blätter sehr dünn sind und Schadstoffe aus der Atmosphäre direkt aufnehmen. Das Laub von Bäumen oder die Oberfläche von Grashalmen ist dagegen durch eine wachsartige Epidermis-Schicht besser vor Umwelteinflüssen geschützt.

Buchtipp: „Gathering Moss“ von Robin Wall Kimmerer

Wer tiefer in die Welt der Moose eintauchen möchte, dem sei das Buch „Gathering Moss“ von Robin Wall Kimmerer empfohlen. Auf Deutsch erschienen als „Das Sammeln von Moos: Eine Geschichte von Natur und Kultur“ in der wunderschönen „Naturkunden“-Reihe von Matthes & Seitz, nimmt es Leser:innen mit auf eine Reise in den Mikrokosmos der verschiedenen Moos-Spezies und der Ökosysteme, in denen sie beheimatet sind.

Gleichzeitig verknüpft die Autorin die biologischen Betrachtungen mit Momenten aus ihrer Biografie und dem Verweis auf indigene Traditionen der Native Americans und zeigt Menschen und Pflanzen als untrennbar verwobene Teile eines Großen Ganzen auf.

Martina

Mag Architektur, Tiere und Internetkultur

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert