Atlanta ist die Hauptstadt von Georgia, einem der Südstaaten der USA. Wer auf Google nach Fotos sucht, findet das Übliche: Wolkenkratzer, Autobahnen – aber irgendwie auch viel Grün? Und schnurgerade sind die Straßen auch nicht alle? Vielleicht doch keine US-Standard-Stadt … Bisher war ich noch nie dort, aber ich würde Atlanta gerne einmal besuchen. Deswegen bildet diese Stadt den Auftakt für unsere neue Reihe: Wunschziele.
Warum Atlanta?
Wo wir schon dabei sind, zu googlen – die erste Frage, die kommt: „Why is Atlanta famous?“ Für mich persönlich war Atlanta tatsächlich eine der ersten amerikanischen Städte, die mir konkret was sagte. Warum? Ganz klar: Olympische Spiele 1996. In dem Sommer war ich zwar erst sieben Jahre alt und meine Erinnerungen sind entsprechend vage, aber ich bin mit Sport im Fernsehen aufgewachsen.
(Vom Super Bowl LI habe ich nur die erste Halbzeit geguckt, weil ich am Montag früh raus musste, aber das werden mir die Atlanta Falcons wohl nicht übel nehmen, nachdem sie in der zweiten Halbzeit eine 28-3-Führung gegen die Patriots verspielt haben …)
Auch ansonsten ist Atlanta mir immer mal wieder begegnet, sei es als Wirkungsstätte von Martin Luther King Jr. oder als Setting von Tayari Jones’ Roman An American Marriage (oder, zugegebenermaßen, als Geburtsort von Dr. McCoy aus Star Trek).
Vor zweieinhalb Jahren ist mir die Stadt wieder über den Weg gelaufen, und diesmal (vielleicht, weil Reisen im April 2020 gerade unmöglich war) habe ich genauer hingeschaut: Geschichte, Besonderheiten, why is it famous? Da wurde mir klar, was für eine ungewöhnliche Stadt Atlanta eigentlich ist – zum Beispiel, dass sie für eine amerikanische Großstadt unüblich grün ist (etwa 48 Prozent der Metropolregion sind von Bäumen bedeckt) und deswegen auch als City in the Forest bekannt ist.
Atlanta, Georgia
Ich habe schon An American Marriage von Tayari Jones erwähnt. Die titelgebende Ehe ist die eines Schwarzen Paares, und der Mann wandert für ein Verbrechen ins Gefängnis, von dem er beteuert, dass er es nicht begangen hat. Der Roman wirft – wenig überraschend – kein gutes Licht auf das amerikanische Jusitzsystem. Ich würde ihn durchaus empfehlen, es ist allerdings keins von den Büchern, in denen die Stadt die heimliche Hauptrolle spielt. Trotzdem ist mir ein Satz im Gedächtnis geblieben: „You know what they say: if you go five miles outside of Atlanta proper, you end up in Georgia.“
Dass eine Großstadt und ihr (Um-)Land oft nicht nur geographisch meilenweit auseinander liegen, ist nichts Neues. Das gilt auch für den Bundesstaat Georgia und seine Hauptstadt. Trotzdem lässt sich hier seit einigen Jahren ein im Süden der USA außergewöhnlicher Prozess beobachten: Georgia war – Südstaat eben – immer tiefrot, republikanisch. Aber in den Präsidentschaftswahlen 2020 gewann Biden mit denkbar knappen 0,23 Prozent. Diese Stimmen haben die Demokraten vor allem um Atlanta herum dazugewonnen.
Atlanta ist zwar schon lange eine mehrheitlich Schwarze Stadt, hat aber in den letzten Jahren in den vormals eher weißen suburbs einen demografischen Wandel hin zu mehr Schwarzen Anwohner:innen erlebt. Aktivist:innen wie Stacey Abrams haben jahrelang hart daran gearbeitet, mehr Stimmen in Georgia für die Demokraten zu gewinnen – mit Erfolg. Dass die 2020er-Wahl keine Ausnahme war, haben wir gerade wieder im Dezember 2022 gesehen: Der demokratische Kandidat für den Senat, Raphael Warnock, hat die Stichwahl gewonnen. Er ist der erste Schwarze Senator aus Georgia. History in the making in Atlanta – mal wieder.
Atlanta ist ein zentraler Ort für die Schwarze Menschen in den USA, nicht nur wegen Martin Luther King Jr. In einem lesenswerten Artikel im Politico zeichnet Teresa Wiltz die eigene Familiengeschichte und die Geschichte des Schwarzen Atlantas nach; sie beschreibt die ständige Veränderung der Stadt, in der sie sich heute bei jedem Besuch neu orientieren muss, aber eben auch eine Stadt, in der die Schere zwischen weißen und Schwarzen, reichen und armen Menschen trotz dieser Geschichte und Dynamik weit auseinanderklafft – ein Paradox.
Zwischen Endstation und Bürgerkrieg
Wo wir schon bei der Geschichte der Stadt sind: Atlanta wurde im Jahr 1837 gegründet (auf Land, das früher den Muscogee Creek und Cherokees gehörte), und zwar an dem Ort, an dem die Western and Atlantic Railway endete. Deswegen war der erste Name für diese Stadt auch Terminus: Endstation. Wie genau im Jahr 1845 aus der offensichtlichen Inspiration der Western and Atlantic Railway der Name Atlanta wurde, ist nicht mehr eindeutig zu rekonstruieren.
Um noch kurz bei der Geschichte zu bleiben: Atlanta war ein wichtiger Schauplatz im amerikanischen Bürgerkrieg. Im November 1864 ordnete der General William T. Sherman an, die Stadt in Flammen zu setzen, um mit dem Prinzip der verbrannten Erde die Kapitulation der Südstaaten zu beschleunigen. Dass Atlanta dabei komplett niederbrannte, ist wohl ein Südstaaten-Mythos. Aber von genau dieser Geschichte kommt das heutige Wappen der Stadt – ein Phönix – und ihr Motto: Resurgens (Latein für „wiederauferstehend“).
Eine Stadt als Transport-Hub
Die Züge haben zwar die Geschichte von Atlanta geprägt, aber ganz im Sinne der US-typischen autogerechten Stadt ist sie heute keine Hauptstadt der Bahnreisen mehr. Auch das ÖPNV-Netz MARTA (Metropolitan Atlanta Rapid Transit Authority) hatte schon mal bessere Zeiten. Es gibt allerdings das große Stadtentwicklungsprogramm Atlanta BeltLine, das unter anderem den Zugverkehr stärken soll.
Wenn die Stadt heute im Zusammenhang mit Verkehrsmitteln gebracht wird, dann wäre es vor allem über den Flughafen: Der Hartsfield-Jackson Atlanta International Airport wurde 1926 eröffnet, hat mittlerweile fünf (!) Start- und Landebahnen und ist (nur mit Aunahme von 2020) seit 1998 der meistfrequentierte Flughafen der Welt. Das liegt auch daran, dass hier viele Menschen umsteigen. In einem Artikel in der Time 1980 stand wohl der Spruch: „When you die, whether you go to heaven or hell, you have to change planes in Atlanta.“
Atlanta Underground
Ein zentrales Überbleibsel des Zugverkehrs sind aber bis heute die vielen Tunnel unter der Stadt – bei all den Um- und Neubauten wurde manchmal einfach über das Alte drüber gebaut. Noch heute sieht man im Stadtplan eine vage dreieckig-geschwunge Form um die Innenstadt herum: Dass die Straßen hier nicht gerade sind, liegt an dem Verlauf der ehemaligen Gleise, die teils unabhängig voneinander gebaut wurden. Niemand rechnete damals damit, dass hier mal eine richtige Stadt entstehen würde.
In seinem Buch Atlanta Underground: History from Below beschreibt Jeffrey Morrison diese Geschichte, seine Entdeckungsreisen in die verlassenen Tunnel (mit Fotos!) und die verschiedenen (bisher meist gescheiterten) Versuche, den sogennanten Railroad Gulch wiederzubeleben: Das ist ein verlassenes Gebiet der übrig gebliebenen Gleise direkt bei der Innenstadt, fast ein Graben, den Morrison als gap in the urban fabric beschreibt. Neue Entwicklungspläne gibt es natürlich auch – wie immer, so scheint es, ist die einzige konstante in Atlanta der Wandel.
Auch an den verlassenen Gleisen und Tunneln sieht man wieder, welch turbulente Geschichte Atlanta hat – und welches Potential in dieser dynamischen, widersprüchlichen Stadt steckt. Und genau, um mir das alles einmal selbst anzuschauen, würde ich gerne eines Tages nach Atlanta reisen.