Am Sonntag, den 26.03.2023, wird in Berlin gewählt. Nein, nicht (schon wieder) das Abgeordnetenhaus. Stattdessen sind die wahlberechtigten Berliner:innen aufgerufen, per Volksentscheid abzustimmen, ob ihre Stadt bis 2030 klimaneutral werden soll. Was hat es mit dem Volksentscheid auf sich – und was bringen solche Abstimmungen?
Worum geht es bei Berlin Klimaneutral 2030?
Die Initiative Klimaneustart Berlin möchte das Klimaschutz- und Energiewendegesetz ändern, genauer gesagt, es verschärfen. Statt 2045 soll Berlin die Klimaneutralität bereits 2030 erreichen. Dort, wo im Gesetz von Zielen die Rede ist, will die Initiative Verpflichtungen stehen haben.
Kritiker:innen merken an, dass die Ziele so nicht umsetzbar seien, zu viel müsste zu schnell passieren, es fehlen Geld und Fachkräfte. Die Initiative hält dagegen: „Ohne ehrgeizige Ziele geht es nicht.“ Sie will die Politik in die Pflicht nehmen, damit mehr aus der Klimawende wird als schöne Versprechungen.
Und genau, weil die Politik den Klimawandel nicht ernst genug nimmt, sollen diese Ziele jetzt mit einem anderen Instrument der Demokratie durchgesetzt werden: mit einem Volksentscheid.
Was ist überhaupt ein Volksentscheid?
Volksentscheide spielen in Deutschland vor allem auf Ebene der Bundesländer eine Rolle. In Berlin zum Beispiel können alle wahlberechtigten Berliner:innen in einem Volksentscheid direkt über Sachlagen entscheiden. Zur Abstimmung steht meist ein konkreter Gesetzesentwurf. Wenn der Volksentscheid Erfolg hat, ist dieses Gesetz angenommen, mit der gleichen Gültigkeit wie ein Gesetz, das das Berliner Abgeordnetenhaus verabschiedet hat.
Bis dahin ist es allerdings kein leichter Weg. Vor dem Volksentscheid steht zunächst das Volksbegehren. In dieser Phase müssen die Organisator:innen mindestens 20.000 gültige Unterschriften einsammeln. Sind die zusammen, wird die rechtliche Gültigkeit der Unterschriften (und des Vorhabens) vom Senat überprüft. Lässt der Senat alles zu, kann das Abgeordnetenhaus das Begehren entweder gleich übernehmen, oder den zweiten Teil des Volksbegehrens einleiten. Diesmal sind etwa 170.000 gültige Unterschriften notwendig (immer mindestens sieben Prozent der Wahlberechtigten).
Wenn auch diese Unterschriften beisammen sind, kann es zum Volksentscheid kommen. Das ist eine Abstimmung an einem Sonn- oder Feiertag (oder per Briefwahl), ganz wie eine Wahl für das Abgeordnetenhaus oder den Bundestag. Als angenommen gilt der Volksentscheid, wenn die Mehrheit der Teilnehmenden mit „Ja“ stimmt. Allerdings muss diese Mehrheit mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten betragen. Es gibt also ein Quorum, das erreicht werden muss. Ist die Wahlbeteiligung zu gering, gilt der Volksentscheid als nicht angenommen.
Übrigens: Wahlberechtigt sind alle, die das Berliner Abgeordnetenhaus wählen dürfen. Das bedeutet: deutsche Staatsbürger:innen, die mindestens 18 Jahre alt sind und ihren Hauptwohnsitz in Berlin haben. Dass damit viele Berliner:innen von der Abstimmung ausgeschlossen sind, weil sie nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben, wird immer wieder diskutiert, sowohl bei Volksentscheiden als auch bei der Abgeordnetenhauswahl.
Volksentscheide in Berlin bisher
Der Klima-Volksentscheid ist nicht der erste seiner Art. So stimmten die Berliner:innen zum Beispiel 2014 dafür, das Tempelhofer Feld nicht zu bebauen und die Grünfläche (und wichtige Kaltluftschneise) für alle zu erhalten. Dieser Erfolg der Berliner Zivilgesellschaft steht – leider – jedes Mal zur Disposition, wenn jemand ein schnelles Wahlkampfthema sucht. (Warum eine Bebauung des Tempelhofer Felds weder jetzt noch in Zukunft eine gute Idee ist, stand bereits in der Begründung des Gesetzes.)
2021 votierte eine große Mehrheit für den Volksentscheid von „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“. Die Umsetzung ist, Stand März 2023, noch in der Beratung bei einer Expert:innen-Kommission, die sicher stellen soll, was genau rechtlich möglich ist und was nicht. Immerhin haben die Initiator:innen schon erreicht, den Rahmen des Vorstellbaren zu verschieben, was bezahlbaren Wohnraum angeht. Auch dafür sind Volksentscheide wichtig: Sie prägen die öffentliche Debatte.
Nicht alle Volksentscheide werden umgesetzt: 2017 gab es einen über den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel, den unter anderem die FDP vorangetrieben hatte. Auch hier stimmte die Mehrheit der Berliner:innen dafür. Da es bei diesem Volksentscheid aber nicht um einen konkreten Gesetzesentwurf ging, war das Ergebnis nicht bindend. Tegel offen zu halten, wäre ohnehin rechtlich kaum möglich gewesen. Mittlerweile ist der Flughafen geschlossen.
Das Problem mit dem Quorum
Volksentscheide können noch ganz andere Probleme haben: Die Rekommunalisierung der Berliner Stromnetze scheiterte 2013 am Quorum – die Abstimmung fand im Gegensatz zu den bisher genannten Volksentscheiden nicht gleichzeitig mit einer anderen Wahl statt.
Dieses Schicksal könnte auch dem Klima-Volksentscheid drohen, obwohl es erst vor kurzem eine Abgeordnetenhauswahl in Berlin gab: Die beiden hätten theoretisch miteinander verbunden werden können. Dass der Volksentscheid an einem eigenen, späteren Termin stattfinden muss, wurde mit der aufwendigen Organisation der Wiederholungs-Abgeordnetenhauswahl begründet, und damit, dass es zeitlich nicht mehr gereicht hätte, die Stimmzettel für den Volksentscheid zu drucken und zu versenden.
Die ganze Welt wird der Klima-Volksentscheid in Berlin nicht retten, und auch, wenn eine Mehrheit dafür stimmt, wird wohl nicht alles so kommen wie in dem Gesetzesentwurf gefordert. Dennoch sind Volksentscheide ein wesentliches Mittel der Demokratie, mit dem Bürger:innen auch außerhalb von Wahlen und Parteien Einfluss auf die öffentliche Debatte und konkrete politische Entscheidungen nehmen können. Von daher: Geht wählen!