Kolumne: Geführte Touren ja oder nein?

Geführte Touristengruppe auf einem breiten Weg, an den Seiten tropischer Regenwald
Foto: Martina John

Stadtrundgang? Guided Tour durch die Natur? Nicht mit mir! Wenn ich als Touristin unterwegs bin, laufe ich mir lieber mit Reiseführer, Google Maps und der Illusion von Individualität die Füße platt, als geführte Touren in Anspruch zu nehmen. Aber woher kommt dieser Unwille? Bin ich wirklich besser als andere Reisende, wenn ich unbedingt alles selbst entdecken will? Eine Kolumne.

Ich weiß alles besser!

Ich glaube, ich bin eine ganz schön arrogante Touristin. As Individualreisende mit Kunstreiseführer in der Hand belächele ich die verkabelten Tourist:innen, die sich mit Knopf im Ohr durch Venedig führen lassen. Um wilde Tiere in den Nationalparks der Neuen Welt zu bestimmen, reichen mir Google und das Fernglas meines Freundes statt einer Tour mit Guide. Und im Alltag schiebe ich mich genervt durch die Gruppen organisierter Hamburg-Besucher:innen, wenn ich in der Speicherstadt oder auf St. Pauli unterwegs bin.

Jemanden, der erklärt auf welche Details ich achten soll und entscheidet, was wir uns als Nächstes angucken? Brauche ich doch nicht! Ich hab mich schließlich selbst vorbereitet (aka Natur-Artikel auf Wikipedia gelesen) und irgendwann auch mal was mit Kunst studiert. Und wenn ich wirklich nicht weiter weiß, schaue ich in den Reiseführer oder googele einfach. Touren? Ausgebildete Guides? Nicht nötig!

Ruinen von Pompeii - im Hinetrgrund sieht man eine TouristengruppeQuelle: Martina John
Tourist:innen sind immer die anderen – wie hier in Pompeii mit sicherem Abstand zur guided Tour.

Warum diese Arroganz?

Schlimm? Finde ich auch, je länger ich darüber nachdenke. Warum denke ich, dass ich irgendwie die bessere Reisende bin als die Menschen, die Geld und Zeit investieren, um sich von Expert:innen informieren zu lassen? Maße ich mir wirklich an, mehr zu wissen als ein Guide, der oder die vor Ort lebt und Jahre damit verbracht hat, die jeweilige Lokalität zu erklären?

Ich glaube, es geht gar nicht so sehr um das Wissen, sondern um das mit dem Reisen verbundene Gefühl des Entdeckens und Selbst-Erschließens. Egal wie viele Millionen Reisende vor mir in Rom waren, wenn ich das Pantheon betrete, möchte ich das Erlebnis mit meinem Reisebegleiter teilen, aber nicht mit 20 Leuten, die sich zufällig zur gleichen Tour angemeldet haben. Und auf einer Wanderung durch einen Nationalpark mit beeindruckender Landschaft möchte ich mich Alexander-von-Humboldt-mäßig selbst als Entdeckerin exotischer Spezies fühlen, egal wie viele Tourist:innen sich vor oder nach mir über die bunten Papageien freuen.

Individualismus und Instagram

Vermutlich bin ich da nicht die Einzige. Schließlich gehöre ich als Millennial und Digital Native zu einer Generation, die das Reisen als Persönlichkeitsausdruck und Statussymbol perfektioniert hat – auf Instagram-Fotos sieht es schließlich immer aus, als wäre man ganz alleine auf der Klippe, am Strand, in der Altstadt oder am Lost Place.

Wer einen begehrten Ort zuerst „entdeckt“ oder zumindest die digitale Illusion dieser Entdeckung kreiert, schafft sich damit soziales Kapital. Wir wollen alle so individuell wie möglich sein und unser Leben entsprechend kuratieren. Als eine:r von vielen hinter dem Guide herzustiefeln passt nicht in dieses Bild.

Blick durch die Arkadengänge des Dogenpalastes in VenedigQuelle: Martina John
Venedig im Jahr 2021 – Pandemie-bedingt ohne Kreuzfahrttourist:innen

Mit Guide sieht man mehr

Und dann laufe ich also super-individuell und Entdeckerinnen-mäßig durch eine gotische Kathedrale oder über eine antike Ausgrabungsstätte und ärgere mich, dass mir die Beschriftungstafeln nicht die Fragen beantworten, die mir wirklich unter den Nägeln brennen. Oder ich stapfe durch den Nebelwald im Hochland von Costa Rica und frage mich, ob das Geräusch was ich in den Baumwipfeln höre der seltene Quetzal sein könnte und warum ich den verdammten Vogel nicht zu Gesicht bekomme. Und im Naherholungsgebiet vor den Toren Hamburgs habe ich dann doch keine Ahnung, was das für Pilze sind, die da wachsen, oder welche Käfer da eigentlich gerade über den Baumstamm krabbelt.

Sobald es tiefer ins Detail geht, kann mir ein:e Expert:in also doch viel mehr aufzeigen, als ich alleine erkennen könnte. Und dann gibt es auch immer wieder Orte, an die man nur mit einer Führung kommt, weil sie fragil, platzmäßig begrenzt oder gefährlich sind. Aus purer „ich will da aber alleine hin“-Arroganz den verwunschenen Westteil des Highgate Cemetery in London verpassen, der früher nur über geführte Touren zugänglich war? So dumm war ich zum Glück nicht.

Führungen „schnorren“

Natürlich spiele ich immer noch gerne die individualistische Entdeckerin, aber wenn das Thema spannend ist, buche ich mir mittlerweile doch eine Guided Tour.

Und sollte ich mich einmal doch nicht überwinden können – was immer funktioniert ist „Führung schnorren“: In Kathedralen, Palästen und großen Museen einfach in die Nähe einer passend aussehenden Gruppe stellen und so tun als sei man intensiv in die Betrachtung eines Gemäldes oder eines herausragenden architektonischen Elements versunken, während man zuhört, was der oder die Guide der Gruppe erzählt, die eben dieses Objekt in Augenschein nimmt. Für lange Touren eher nicht empfohlen (die Guides wollen auch leben und für ihre Arbeit entlohnt werden) aber ein paar Wissens-Snacks lassen sich so wunderbar aufschnappen.

Und die allerschönste Guided Touren sind für mich die, die ich von Freund:innen bekomme, die sich mit einer Materie gut auskennen – sei es Architektur im Industriegebiet oder Krabbeltiere in der Lüneburger Heide – da lasse ich meine Entdeckerinnen-Hybris gerne zu Hause.

Lust auf geführte Touren ohne Knopf im Ohr? Diese hier haben sogar mich überzeugt:

  • London: Highgate Cemetery West – Mittlerweile gibt es auch self-guided Visits, für die volle Dosis Architektur und Anekdoten auf dem viktorianischen Friedhof würde ich aber immer die Guided Tour empfehlen.
  • Neapel: Napoli Sotteranea – Zisternen, unterirdische Gärten und ein verborgenes römisches Amphitheater – das unterirdische Neapel lässt sich nur per Tour entdecken.
  • Berlin: Christopher Isherwood Walking Tour – Nicht nur für Geschichtsinteressierte und Literatur-Nerds. Rundgang durch das Berlin-Schöneberg der 1920er Jahre auf den Spuren des britischen Literaten Christopher Isherwood. Seine Erlebnisse aus dieser Zeit, die er im Roman „Goodbye to Berlin“ festhielt, bildeten die Grundlage für Musical und Film „Cabaret“.

Martina

Mag Architektur, Tiere und Internetkultur

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