Alle reden über Stadt versus Land – aber was ist mit dem Zwischenraum, den Industrieanlagen, den Shoppingzentren und den Flughäfen? Eine Reise in die Edgelands.
Was sind Edgelands?
Ein Blick aus dem Zugfenster auf dem Weg in die Stadt: Felder und Wald haben wir schon hinter uns gelassen, stattdessen sind da lauter Dinge, die wir kaum wahrnehmen: Kraftwerke, Rangierbahnhöfe, Industrieanlagen voller Rohre und Kräne. Wir sind nicht in der Vorstadt – hier wohnt nämlich niemand (zumindest nicht in Sichtweite). Wir sind weder auf dem Land noch in der Stadt, sondern in einer besonderen Art des liminal space: den Edgelands.
Der Begriff „Edgelands“ wurde 2002 von der britischen Autorin Marion Shoard geprägt und definiert sich als Raum zwischen Stadt und Land, der durch Urbanisierung entstanden ist. In einer Zeit, in der Städte keine Mauern mehr zum Schutz brauchen, können sie sich überallhin ausbreiten. Auch die Edgelands sind charakterisiert von Überfluss, von all dem, was im Stadtzentrum keinen Platz hat oder haben soll.
In die Edgelands hinein kommt man oft nur über die Autobahn, hindurch unter zugemüllten Brücken, wo LKWs unsere Bestellungen mit garantierter 24-Stunden-Lieferung durch die Gegend karren. Überhaupt ist vieles in den Edgelands Abfall. Dinge, die die Stadt braucht (oder mal gebraucht hat), aber nicht (mehr) sehen will: Müllhalden, Kläranlagen, graffitibesprühte Industrieruinen. In der ersten Staffel der Serie True Detective, die zu großen Teilen im ausgebleichten Dazwischen des deindustrialen US-Bundesstaats Louisiana spielt, merkt der Protagonist Rust Cohle an, dass die Gegend einen schlechten Geschmack in seinem Mund hinterlässt – Aluminium und Asche.
Wenn wir wirklich in die Edgelands hinein fahren anstatt nur durch sie hindurch, dann haben wir immer etwas Bestimmtes vor: Dort finden wir Outlet Stores und Shoppingzentren mit eigener Autobahnabfahrt wie Bluewater, das südöstlich von London in einen ehemaligen Kalksteinbruch gebaut wurde. Es gibt Fast Food Restaurants, Flughäfen mit den immer gleichen Hotelketten und Parkplätze, überall Parkplätze. Von allem davon brauchen wir eigentlich weniger.
Das künstlerische Potential der Edgelands
Mittlerweile werden diese großen Flächen um die Städte herum aber nicht nur als vergessen und vermüllt wahrgenommen. Da gibt es zum Beispiel die künstlerische Verarbeitung, für die die Edgelands mit ihrem Hauch von Parallelwelt geradezu prädestiniert sind.
Die Dichter Paul Farley und Michael Symmons Roberts, die am Rande der deindustrialiserten Zentren Manchester und Liverpool aufgewachsen sind, haben mit der Schilderung ihrer surrealen Erlebnisse zwischen Autofriedhöfen und verdreckten Kanälen zum Beispiel eine Ode an die Edgelands geschrieben. Die blauen Methan-Flammen, die nachts über den Müllhalden flackern, beschreiben sie zum Beispiel als die Irrlichter des 21. Jahrhunderts, als „English folklore on steroids, a ghost running on industrial megawatts.“ Cyberpunk ist eben doch realer, als wir manchmal denken …
Die Edgelands der Zukunft?
Außerdem sind die Edgelands ständig im Wandel, und das nicht immer zum Schlechten. Unter britischen Kanälen wurden zum Beispiel Glasfaserkabel verlegt. Aus dem Methan wird Strom erzeugt. Wo Menschen wenig hinschauen, kann sich Natur wieder ungestört entwickeln, und Wegränder, kleine Gehölze und Industriebrachen können zu wahren Biotopen werden.
Ein anderes Beispie: Der Raum zwischen Berlin-Zehlendorf und Kleinmachnow in Brandenburg, vorbei an der verlassenen Autobahnraststätte Dreilinden, den zugewachsenen Gleisen der Stammbahn, die in absehbarer Zukunft endlich reaktiviert werden soll, und dem ehemaligen Todesstreifen, wo die Mauer stand – ist heute ein beliebter Ort für Spaziergänge.
[…] 21. Jahrhunderts stadtplanerisch jedoch weit vom Ursprungszustand entfernt. Oft sind sie von „Edgelands“ statt von Ackerland umgeben und in die Stadtfläche einbezogen worden. Und manchmal wird der […]