Soziale Durchmischung: Ein Ideal auf dem Prüfstand

So kann soziale Durchmischung aussehen: Menschen unterschiedlicher Herkunft laufen über eine Straße.
Foto: Unsplash/Christopher Burns

Immer wieder wird sie laut: die Forderung nach sozialer Durchmischung. Bunte Quartiere, in denen Menschen aller Art friedlich beisammen leben, sind ein Leitbild in der modernen Stadtplanung. Doch was ist mit sozialer Durchmischung eigentlich gemeint? Und wem nützt sie? 

Was ist soziale Durchmischung?

Die politische Forderung nach sozialer Durchmischung flammt seit den 1990er-Jahren immer wieder auf. Sie zielt darauf ab, innerhalb von Quartieren eine möglichst heterogene Bevölkerungsstruktur zu schaffen. “In einem gut durchmischten Stadtteil leben Handwerker neben Akademikern, Kinder neben Rentnern, Menschen mit Migrationshintergrund neben Einheimischen. Eine gute Durchmischung der Bevölkerung trägt zur sozialen Stabilität und Integration bei. Sie schafft Wohlbefinden im Quartier, Sicherheit und eine niedrige Kriminalitätsrate.”, heißt es zum Beispiel auf der Homepage der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern.

Herkunft, Alter, Einkommen, Religion, Gesundheitszustand: Die Kriterien, nach denen durchmischt werden soll, variieren von Kontext zu Kontext. Häufig bleiben sie undefiniert. In Ermangelung eines klaren Zielbilds hat sich im Diskurs daher die Rede von Besser- und Schlechtergestellten etabliert. Sie sollen gemeinsam in einer Nachbarschaft leben.

Politik im Namen der Integration

Mehr Vielfalt, mehr Chancengleichheit, mehr Zusammenhalt; die Hoffnungen, die heutzutage an das Konzept der sozialen Durchmischung geknüpft werden, sind groß und auf den ersten Blick gefällig. Eine bunte Nachbarschaft soll die soziale Schere zugunsten der Benachteiligten schließen, so der Eindruck.

Dabei stand das Wohl der Armen ursprünglich nicht im Mittelpunkt der Idee. Der Ruf nach einer sozialen Durchmischung wurde das erste Mal Mitte des 19. Jahrhunderts laut, wie die Autor:innen der Studie Soziale Durchmischung: Mythos oder Realität? aufzeigen. Der Grund, warum Stadtplaner für eine “massvolle Mischung aller Klassen” plädierten, war die Gefahr, die von Armutsvierteln ausging: allen voran die Angst vor überschwappenden Seuchen und vor sozialen Unruhen. Durchmischung sollte das Proletariat zum Wohle der herrschenden Klassen “domestizieren”.

Der Plan: Durch den Kontakt mit Bessergestellten sollten benachteiligten Schichten dazu gebracht werden, ihre “Kultur der Armut” zu überwinden und bürgerliche Werte anzunehmen. Auch heutzutage liegt der Idee der sozialen Durchmischung die Annahme zugrunde, dass benachteiligten Personen positive Rollenbilder brauchen, die ihnen von Bessergestellten im Zuge des Zusammenlebens vermittelt werden. Die Benachteiligten sollen von der bürgerlichen Mittelschicht lernen, ihr Verhalten anpassen und so den sozialen Aufstieg schaffen. In dieser Narration wird soziale Integration weniger als eine gegenseitige Annäherung gleichberechtigter Gruppen gedacht, sondern als Assimilation der Anderen an die bürgerliche, weiße, deutsche Mittelschicht. 

Kontakte für mehr sozialen Kitt

Nicht alle, die mehr Kontakte zwischen sozialen Gruppen fordern, haben die Durchsetzung einer “Leitkultur” im Sinn. Im Gegenteil: Spätestens seit der Aufstellung der Kontakthypothese durch Allport 1954 sehen Befürworter:innen pluraler Gesellschaften in zwischenmenschlichen Begegnungen die Chance, Vorurteile ab- und eine tolerantere Weltsicht aufzubauen. Allerdings hat sich herausgestellt, dass nicht jede Form des Kontakts dazu geeignet ist. Die Kontakte müssen positiv sein: Je mehr Menschen interagieren und gemeinsame Ziele verfolgen, desto eher verstehen sie sich als Gemeinschaft. 

Aufwertung von bestehenden Quartieren führt nicht zum Ziel

Aus stadtplanerischer Sicht kann soziale Durchmischung theoretisch in drei Szenarien erfolgen:

  1. Bessergestellte siedeln sich in benachteiligten Wohngebieten an
  2. Besser- und Schlechtergestellte siedeln sich gemeinsam auf neu erschlossenen Wohngebieten an
  3. Schlechtergestellte siedeln sich in den Wohngebieten Bessergestellter an

Dass Stadtteile in Top-Lagen für Arme zugänglich gemacht werden, kommt selten vor und ist in der Regel auch nicht gemeint, wenn soziale Durchmischung gefordert wird. In den meisten Fällen geht es darum, ärmere Stadtteile für Bessergestellte attraktiv zu machen; zum Beispiel zentrumsnahe Altbauquartiere oder Wohnsiedlungen aus der Nachkriegszeit am Stadtrand. Zur Aufwertung benachteiligter Stadtteile stehen der Politik diverse Instrumente zur Verfügung, z.B.

  • Gebäudesanierungen oder das Ersetzen von überalterten Wohnbauten durch Neubauten
  • Änderungen der Vermietungspolitik
  • Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur

Der Einsatz dieser Instrumente ist gang und gäbe, die Aufwertung benachteiligter Quartiere gelebte Realität. Auf kurze Sicht betrachtet wird das Ziel der sozialen Durchmischung damit erreicht: Bessergestellte ziehen in die Viertel der Schlechtergestellten, eine heterogene Bevölkerungsstruktur entsteht. Leider hält dieser Erfolg nur kurze Zeit an. Denn mit dem Einzug der neuen, finanzstarken Bewohnerschaft steigen mittelfristig die Mietpreise. Schlechterverdienende können sich diese nicht mehr leisten und werden aus der Nachbarschaft verdrängt. Kurzum: Wenn die Politik keine Maßnahmen gegen steigende Mieten ergreift, folgt auf soziale Durchmischung Gentrifizierung und auf Gentrifizierung folgt soziale Segregation. Für die soziale Integration ist dann nichts erreicht. Den Schlechtergestellten geht es schlechter als zuvor.

Profitieren tun andere, allen voran die Stadt. Mit der Verdrängung sozial schwacher Schichten in die Peripherie verschwinden häufig auch Dreck, Kriminalität und offener Drogenkonsum aus dem Straßenbild. Stattdessen sprießen urbane Trendlokale aus dem Boden, neue Einkaufsmöglichkeiten und kulturelle Angebote entstehen. Das urbane Flair lockt internationale Unternehmen an; der Standortfaktor steigt. Auch Immobilienfirmen, Grundbesitzer und Wohnungseigentümer gehören durch die steigenden Mieten zu den Gewinnern.

Quelle: Unsplash/Lubo Minar
Spätestens wenn Lokale mit handgemachten Delikatessen aufmachen, ist die Gentrifizierung im Namen sozialer Durchmischung nicht mehr aufzuhalten. Foto: Unsplash/Lubo Minar

Soziale Durchmischung bei neuen Quartieren mitdenken

Das Problem der Gentrifizierung bleibt aus, wenn neue Quartiere nach Prinzipien der sozialen Durchmischung geplant werden. Verdrängungsmechanismen spielen keine Rolle, wenn Brachflächen in Wohnflächen umgewandelt werden. Wenn soziale Integration gelingen soll, sollten bei der Planung allerdings einige Punkte berücksichtigt werden.

  • Damit das Statusdenken nicht genährt wird, sollte von außen nicht erkennbar sein, welche Wohnungen Teil des sozialen Wohnungsbaus sind und subventioniert werden.
  • Um positive Kontakte zu fördern, sollten möglichst viele gemeinsam nutzbare öffentliche Räume wie Parks, Spielplätze oder Sportplätze zur Verfügung gestellt  werden.
  • Wenn die Durchmischung nicht auf Gebäudebene, sondern auf Ebene von Blocks oder Quartieren geplant ist, sollten diese Einheiten weiche Ränder mit gemeinsam nutzbaren öffentlichen Räumen haben. 

Arme profitieren nicht automatisch von reichen Nachbarn

Leider gibt es keine empirischen Hinweise darauf, dass sich die sozioökonimische Situation von Benachteiligten durch soziale Mischung bessert. Auch die Sozialwissenschaft ist skeptisch, dass eine durchmischte Nachbarschaft den sozialen Aufstieg benachteiligter Personen begünstigt oder Vorurteilen entgegenwirkt. Im Gegenteil wird befürchtet, dass die Konfrontation mit Armut in der unmittelbaren Nachbarschaft Menschen aus der Mittelschicht dazu treibt, sich stärker abzugrenzen und so gegen den drohenden Abstieg zu wehren. In diesem Fall führt soziale Durchmischung zu sozialem Stress, wie der Forschungsbereich Urban Mental Health herausgefunden hat.

Nicht-Durchmischung ist auch keine Lösung

Die großen Erfolge der Durchmischungspolitik bleiben bislang aus. Maßnahmen wie die Aufwertung von Problemquartieren haben für benachteiligte Gruppen sogar zu einer Verschlechterung der Situation beigetragen. Dennoch steht außer Frage, dass es in wenig durchmischten Vierteln Probleme gibt. 

In Deutschland treten Schwierigkeiten zum Beispiel in migrantischen Nachbarschaften auf, die ethnisch homogen sind. Studien zufolge fällt es Bewohner:innen dieser Communitys schwerer, die Landessprache zu erlernen. Ob Umsiedlungspolitik zur Behebung dieses Problems geeigneter ist als gezielte Sprachförderung, stellt die Studie Soziale Mischung und Quartiersentwicklung: Anspruch versus Machbarkeit infrage. Außerdem wurde in PISA-Studien erwiesen, dass an Schulen mit einem sehr hohen Migrantenanteil die Kinder ungeachtet ihrer Herkunft ein geringeres Kompetenzniveau erreichen. Als mögliche Lösung werden Frühförderungsprogramme genannt. 

Mein (Zwischen-)Fazit

Als ich angefangen habe mich mit dem Thema soziale Durchmischung auseinanderzusetzen stand für mich außer Frage, dass bunte Viertel die besseren Viertel sind. Ich möchte in einer pluralen Gesellschaft leben, in der Menschen aller Art glücklich zusammenleben und voneinander lernen. 

Im Zuge meiner Recherche habe ich jedoch den Eindruck gewonnen, dass die Maßnahmen, die im Namen der Integration, Pluralität und Wohlfahrt getroffen werden, wenig Gutes bewirken. Es scheint sogar als würde der Begriff der sozialen Durchmischung missbraucht, um andere, zum Teil neoliberale Ziele zu erreichen. Allen voran die Verbesserung der städtischen Standortfaktoren und die Ankurbelung der Wirtschaft. So sehr ich mir mehr funktionierende plurale Nachbarschaften wünsche, so skeptisch werde ich in Zukunft beim Schlagwort “soziale Durchmischung” sein. Kritik ist angebracht.

1 Kommentar

  1. […] fördern. Auch heute setzen Stadtplaner:innen auf ihre integrative Wirkung. So werden im Namen der sozialen Durchmischung mehr gemeinsam nutzbare öffentliche Räume wie Parks, Spielplätze oder Sportplätze gefordert. […]

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