Wie können wir Vorurteile gegenüber Fremden abbauen? Die Kontakthypothese von Gordon Allport besagt, dass dazu eine einzelne positive Begegnung reicht. Stimmt das? Und wenn ja: Was bedeutet das für die Gestaltung unserer Städte?
Kontakte fördern Toleranz
Die Kontakthypothese stammt aus der Sozialpsychologie. Sie wurde 1954 von Gordon Allport formuliert und beschäftigt sich mit der Frage, wie Vorurteile zwischen den Mitgliedern unterschiedlicher Gruppen abgebaut werden können. Allports These: Wer Kontakt zu einer Person aus einer vorurteilsbehafteten Gruppe hat, baut seine Vorurteile gegenüber der gesamten Gruppe ab. Dahinter steckt die Idee, dass wir vor allem über diejenigen schlecht denken, denen wir noch nicht begegnet sind.
Gefühle entwickeln und Wissenslücken schließen
Warum wirken sich zwischenmenschliche Kontakte positiv auf die Toleranz aus? Lange ging man davon aus, dass der Faktor Wissen dabei entscheidend sei. Wer sein Wissen über eine Gruppe verbessere, baue automatisch Vorurteile ab, so die Annahme. Eine neuere Meta-Studie von Thomas Fraser Pettigrew und Linda R. Tropp hat gezeigt, dass die Gefühlswelt mindestens genauso wichtig ist. Wer durch eine Begegnung Ängste abbaut und Empathie aufbaut, wird später weniger Vorurteile haben.
Auch Unwillige profitieren von Begegnungen
Dass Menschen, die Kontakt zu einer Gruppe hatten, besser über diese Gruppe denken als Menschen, die keinen Kontakt zu dieser Gruppe hatten, ist empirisch bewiesen. Allerdings herrschte lange Zeit Uneinigkeit über den Zusammenhang zwischen Kontakt und Toleranz. Kritiker:innen vermuteten, dass Kontakt nur bei Menschen wirke, die anderen Kulturen gegenüber sowieso aufgeschlossen seien. Auch hier konnten Pettigrew und Topp, die Koryphäen des 21. Jahrhunderts auf dem Gebiet der Kontakthypothese, für Klarheit sorgen. In ihrer Metastudie von 2006 zeigten sie, dass beides richtig ist: Menschen mit wenigen Vorurteilen sind kontaktfreudiger. Aber auch Menschen, die einen Kontakt nicht frei gewählt haben, können durch ihn Vorurteile abbauen.
Nur positiver Kontakt baut Vorurteile ab
Durch Interaktionen werden Vorurteile gegenüber ethnischen Gruppen, religiösen Gruppen, LGBTQ, alten oder behinderten Menschen reduziert. Damit ein Kontakt zu einer wohlwollenden Einstellung führt, muss er von den Beteiligten allerdings als positiv empfunden werden. Außerdem gibt es bestimmte Umstände, unter denen Kontakte als besonders vielversprechend gelten.
Kontakte, die …
- auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten,
- auf Augenhöhe stattfinden,
- von Institutionen unterstützt werden und
- zwischen Personen mit ähnlichem Status stattfinden
… gelten als optimal. Positive Effekte treten jedoch meist auch dann auf, wenn nur einige dieser Aspekte erfüllt sind.
Wird ein Kontakt als negativ empfunden, trägt er nicht zum Abbau von Vorurteilen bei. Im Gegenteil: Eine unangenehme Begegnung kann Vorurteile sogar noch verstärken. 2014 hat die Forscher:innengruppe um Sylvie Graf, Stefania Paolini und Mark Rubin in einer Studie herausgefunden, dass Studierende, die ein schlechtes Erlebnis mit einem:einer Vertreter:in ihres Nachbarstaates erlebt hatten, besonders schlecht über die Bevölkerungsgruppe dachten.
Wie die Kontakthypothese unsere Städte prägt
Die Überzeugung, dass Kontakte zum friedlichen Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Gruppen beitragen, spielt auch in der Stadtplanung eine Rolle. Ein Beispiel dafür ist der Central Park in New York. Er wurde in den 1850ern, zur Zeit der Rassentrennung, von Frederick Law Olmsted entworfen. Der Landschaftsarchitekt verfolgte damit den Plan, einen Ort der Begegnung zu schaffen. Herkunft, Hautfarbe, Religion und Status sollten im Central Park keine Rolle spielen.
Als Orte der Freizeit und des Vergnügens scheinen Parks besonders gut geeignet zu sein, um positive Kontakte zu fördern. Auch heute setzen Stadtplaner:innen auf ihre integrative Wirkung. So werden im Namen der sozialen Durchmischung mehr gemeinsam nutzbare öffentliche Räume wie Parks, Spielplätze oder Sportplätze gefordert. Darüber hinaus gibt es den Ansatz, Sozialwohnungen so zu bauen, dass sie von außen nicht als solche erkennbar sind. Ist dies der Fall, werden nachbarschaftliche Begegnungen auf Augenhöhe und ohne Statusdenken wahrscheinlicher.
Kontakthypothese und Flüchtlingsarbeit
Auch bei der Integration von Geflüchteten können die Erkenntnisse zur Kontakthypothese eine Hilfe sein. In ihrem Artikel Die Kontakthypothese: Wie Kontakt Vorurteile reduzieren und die Integration Geflüchteter fördern kann beschreiben Dr. Helen Landmann, Anna Lisa Aydin, Rolf van Dick und Ulrich Klocke, wie eine Annäherung von Ansässigen und Geflüchteten gelingen kann.
Als ein Positivbeispiel nennen sie die gemeinsame Gestaltung von Innenhöfen oder Parks. Versuchen Ansässige und Zugezogene ihr direktes Lebensumfeld gemeinsam zu verbessern, arbeiten sie nicht nur auf Augenhöhe zusammen, sondern auch auf ein gemeinsames Ziel hin. Zudem ist es wichtig, überhaupt Kontaktmöglichkeiten zu schaffen; z.B., indem geflüchtete Familien dezentral in bestehenden Wohnhäusern untergebracht werden statt in Sammelunterkünften.
[…] öffentlichem Raum. Eine Vorstellung, die rund ein Jahrhundert später unter dem Stichwort Kontakthypothese in die Wissenschaft einging und bis heute Einfluss auf die Stadtplanung […]