Wie viel Wohnraum braucht der Mensch?

Ein Wohnkomplex an einer Schnellstraße in Arlington, Washington DC
Foto: Anja Manneck

In meinem Umfeld fällt mir zunehmend auf, dass viele junge Familien in viel zu kleinen Wohnungen leben, während sich ältere Bekannte und Familienangehörige in riesigen Immobilien ausbreiten. Wie kann das sein? Nun ist es Zeit, diesen Eindruck mal auf den Prüfstand zu stellen.

In den Medien heißt es immer wieder, dass dringend neuer Wohnraum geschaffen werden muss. Andererseits übersteigt seit 2011 der Wohnungsneubau den Bevölkerungszuwachs. Wie passt das zusammen?

Blick in eine Küche mit weißen Fliesen und Schränken und grauen Arbeitsplatten.Quelle: Christina Grevenbrock
Eine typische Hamburger Küche. Hier ist kein Platz für einen Esstisch.

Durchschnittlich wohnen

In Zeiten der Energiekrise beglückwünsche ich uns manchmal zu der Entscheidung, „klein“ zu wohnen. Derzeit haben wir zu viert 80m². Das macht 20m² pro Kopf. Damit sparen wir Energiekosten und liegen deutlich unter dem Durchschnitt. In Deutschland haben die Menschen immer mehr Platz. Bewohnte eine Person im Jahr 1991 noch durchschnittlich 34,9 m², so waren es im Jahr 2021 schon 47,7m².

Ganz grundsätzlich hat der durchschnittliche Platz pro Kopf also zugenommen, im Schnitt um einen Quadratmeter alle fünf Jahre. Gleichzeitig geht es nicht nur um die reine Fläche, sondern auch um die Menge der Räume, die in einer Wohneinheit bewohnt werden.

Insgesamt sollten ein Gemeinschaftsraum und ein Raum pro Paar, neben Badezimmer und Küche zur Verfügung stehen. Für jede weitere volljährige Person im Haushalt soll es einen Raum geben. Kinder können sich zu zweit ein Zimmer teilen. Wenn sie älter als zwölf sind und nicht dem gleichen Geschlecht angehören, benötigen sie jedoch ebenfalls ein eigenes Zimmer. Das bedeutet, dass eine Wohnung überbelegt ist, wenn z.B. Wohn- und Schlafzimmer der gleiche Raum ist.

Blick den Hang hinab in ein süddeutsches Dorf. Vordergrund Haus mit Garten, im Hintergrund eine Kirche mit Zwiebeltürmchen.Quelle: Anja Manneck
Wo früher grüne Wiese war, steht heute ein Haus. Auf dem Dorf wird großzügig gebaut.

Ausbreiten auf dem Land

Besonders viel Platz haben die Menschen, die in ländlichen Regionen leben. Hier gibt es noch freie Bauplätze. Junge Menschen wandern in die Städte oder urbane Gebiete ab und ältere Eigentümer:innen bleiben in ihren großen Familienimmobilien wohnen, auch wenn die Kinder ausgezogen sind. An der Spitze stehen Gemeinden mit bis zu 1.200 Einwohner:innen mit einer Pro-Kopf-Fläche pro Einwohner:in von 65m², wie eine Studie des Immobiliendatendienstleisters empirica regio ergeben hat. Gerade für junge Singles ist es kaum möglich, hier kleine Wohnungen zu finden, weil es sie einfach nicht gibt.

Den wenigsten Platz hingegen bewohnten Menschen im hessischen Raunheim, einer 16.000-Einwohner:innen Stadt, die im Rhein-Main-Gebiet liegt und direkt an den Frankfurter Flughafen angrenzt. Hier standen einer Person durchschnittlich 34,3 m² zur Verfügung, gefolgt von Großstädten wie Frankfurt (37,4m²) und Stuttgart (37,6m²).

Nur wenig mehr Platz haben Berliner:innen und Kölner:innen mit einem Platzangebot von 38,9m² pro Person – ein Wert, der seit Jahren gleich bleibt und etwa auf dem Niveau von 1991 liegt.

Meins, deins, unseres – wem gehört der Wohnraum?

Durchschnittlich 46,5% der Menschen besaßen 2020 worin sie wohnten – damit lebt der Großteil der deutschen Bevölkerung zur Miete. Neben klassischen Vermietungen gibt es auch alternative Wohnformen wie Wohnungsbaugesellschaften, die aber nur einen kleinen Teil der Wohnungen zur Verfügung stellen. Hier ist die Idee nicht die Gewinnmaximierung durch Mieteinnahmen, sondern gegenseitige Unterstütung. Bei Wohnungsbaugenossenschaften kaufen die Mieter:innen Anteile und können dafür günstigen Wohnraum mieten. Verwaltung und Instandhaltung wird von der Genossenschaft übernommen. Andere Wohnformen, in denen z.B. Mieter:innen. wie es bei NoBell e.V. Rostock der Fall ist, ihr eigenes Haus kaufen, machen quantitativ nur einen kleinen Teil aus. Solche alternativen Wohnformen können Chancen sein, Wohnraum gerecht zu verteilen.

Eine Sammlung von Wohnprojekten finden sich auf der Seite https://www.wohnprojekte-portal.de/home/. Hier können sich interessierte über bestehende und in Planung befindliche Projekte informieren, es werden konkrete Immobilien angeboten und allgemeine Informationen zur Verfügung gestellt.

Ein niedliches Häuschen am KanalQuelle: Christina Grevenbrock
Ältere Menschen bleiben oft in ihren Häusern wohnen, auch wenn die Kinder längst ausgezogen sind.

Passend wohnen für alle

Auf der einen Seite ist Nachverdichtung ein wichtiges Thema, damit nicht mehr Grundflächen versiegelt werden. Auf der anderen Seite gehört die Bauindustrie zu den Klimasündern schlechthin. Nachhaltiger kann das Bauen durch Urban mining von statten gehen. Aber noch besser, als nachhaltig zu bauen, ist gar nicht zu bauen. Denn auch mit dem bestehenden Wohnraum kann gearbeitet werden.

Ein Thema, das hier ins Auge fällt, ist die ungleiche Verteilung von Wohnraum zwischen den Generationen. Oft bleiben ältere Menschen nach dem Auszug der Kinder oder dem Versterben der Partnerperson allein in ihren Wohnungen, die einmal eine gute Größe für eine ganze Familie hatten. Denn sie haben günstige alte Mietverträge, die sie nicht aufgeben wollen oder können, oder wohnen eben in ihrer abbezahlten Immobilie. Wie das Wort schon sagt: Veränderung fällt dann schwer. Demgegenüber stehen junge Familien, die in den immer teurer werdenden Städten keinen angemessenen Wohnraum finden.

Und nun?

In einer idealen Welt sollte sich jeder Mensch in regelmäßigen Abständen fragen, wie viel Wohnraum er oder sie aktuell wirklich braucht und dann entsprechende Konsequenzen ziehen.

Vor allem älteren Menschen müsste der Umzug in eine kleinere Wohnung erleichtert werden, ohne dass sie mehr Miete für weniger Platz bezahlen müssten. So würde nötiger Wohnraum für Familien frei. Das ist aber schwierig, auf dem freien Markt zu regeln.

In Städten wie Berlin und Stuttgart gibt es hier bereits Lösungsansätze: Die Wohnungsbaugenossenschaft SWSG wirbt beispielsweise mit „Aus groß mach passend. Dabei behalten die Senior:innen ihre Nettokaltmiete, wenn sie in eine kleinere Wohnung ziehen.

Weniger utopisch und einfacher zu realisieren ist „Wohnen für Hilfe“, bei dem sich inzwischen auch einige Studierendenwerke beteiligen. Vor allem Senior:innen stellen Teile ihres zu groß gewordenen Wohnraums zur Verfügung, die Untermieter:innen bezahlen ihren Anteil der Nebenkosten und unterstützen im und ums Haus. Sonst gilt die Faustformel: Für einen Quadratmeter Wohnfläche hilft man eine Stunde im Monat bei allem, was anfällt. Inzwischen beteiligen sich auch Menschen mit Behinderung, Familien und Alleinerziehende an dem Projekt. Ein großer Vorteil ist, dass die vermietenden Menschen nicht aus ihrem gewohnten Umfeld ausziehen müssen, sondern dort verwurzelt bleiben können, wo sie unter Umständen schon lange leben.

Wer mehr möchte, kann in den Podcast „Mini-Appartements und Tiny Houses – Konzepte gegen Wohnungsnot reinhören oder sich mit den Ideen des Bauhauses beschäftigen. Vieles, was heute Thema ist, war es damals nämlich auch schon.

Anja

Mag Nachhaltigkeit, Reisen, Menschen und Kinder.

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