Mitte des 19. Jahrhunderts verwandelte sich Paris binnen weniger Jahre vom mittelalterlichen Gassengewirr zu einem Paradebeispiel für Stadtplanung im Zeitalter der Industrialisierung. Verantwortlich für diese Transformation war Georges-Eugène Haussmann, der die Stadt im Auftrag von Napoleon III umbaute – seine Stadtplanung prägt das Bild von Paris und Großstädte von Berlin bis Buenos Aires bis heute.
Stadtplanung im Auftrag des Kaisers
Als sich Napoleon III, ein Neffe Napoleon Bonapartes, 1852 zum Kaiser krönte, war dem nicht nur der Staatsstreich, der die Zweite Französische Republik beendete, sondern auch ein sogenanntes Plebiszit, eine Volksabstimmung vorausgegangen. Seine Herrschaft begründete der Kaiser auf dem Wohlwollen der Massen. Dies sollte einerseits durch schnelle außenpolitische Erfolge legitimiert werden, zog aber auch umfassende infrastrukturelle Modernisierungsmaßnahmen nach sich.
Eine diese Maßnahmen war die Neugestaltung von Paris, mit der der Kaiser Georges-Eugène Haussmann beauftragte. Haussmann war bereits als Organisationstalent in verschiedenen Provinzstädten aufgefallen, wo er unter anderem für den Ausbau von Wegenetzen oder Wasserversorgung zuständig war. 1853 ernannte ihn Napoleon zum Präfekten von Paris. Damit einher gingen außergewöhnliche Befugnisse. Bis er seinen Posten 1870 räumen musste, hatte Haussmann quasi freie Hand für die Umgestaltung der Metropole, die zu diesem Zeitpunkt noch stark von kleinteiliger mittelalterlicher Architektur und Infrastruktur geprägt war.
Eine Metropole fürs Industriezeitalter
Napoleon III hatte viel Zeit in London verbracht und war begeistert von Grünflächen wie dem Hyde Park, den Prachtstraßen und öffentlichen Plätzen, mit denen sich London schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts als Hauptstadt eines Kolonialreich und Metropole des modernen Industriezeitalters inszenierte. Nach diesem Vorbild sollte Haussmann in seinem Auftrag auch Paris neu gestalten.
Mit seiner „Grande Travaux“, der „großen Arbeit“ machte sich Haussmann daran, die Stadt „zu belüften, vereinheitlichen und zu verschönern“. Im Zuge dessen blieb buchstäblich kein Stein mehr auf dem anderen – drei Viertel der Bauten in der Pariser Innenstadt wurden abgerissen, neu gebaut oder zumindest start verändert.
War Paris zuvor seit Jahrhunderten mehr oder weniger chaotisch-organisch um einen mittelalterlichen Stadtkern mit krummen Straßen, kleinen Gassen und alten Gebäuden gewachsen, führte Haussmann strenge Regeln ein. Geschosshöhen waren genau festgelegt, ein Katalog von Schmuckformen und Gestaltungsornamenten legte fest, wie die Fassaden auszusehen hatten, damit alles zusammenpasste.
Die Stadt wurde von ihm an Sichtachsen entlang geplant, Prachtboulevards, die lange Schneisen in die vorhandene Stadtstruktur schlugen. Dazu gehören Verkehrsachsen wie der Boulevard Magenta oder der Boulevard Saint-Germain sowie Plätze und Knotenpunkte wie der Place de la République oder der Place Charles-de-Gaulle, damals noch Place de l’Étoile um den Arc de Triomphe.
Bürger:innen-gerechtes Wohnen
Sogenannten „Haussmann-Häuser“ als Zeugen von Haussmanns detaillierten Regeln für die Bebauung der Wohn- und Geschäftsviertel prägen noch heute das Stadtbild. In diesen in Blockrandbebauung errichteten Mehrfamilienhäusern waren die Bedürfnisse von Bürger:innen des 19. Jahrhunderts mitgedacht: Im Erdgeschoss befanden sich Geschäfte oder Restaurants, darüber Kontore oder Büros für die Inhaber der Geschäfte, In der „Bel étage“ im zweiten Stock lebte in großzügigen Wohnungen das wohlhabende Bürgertum. In den Geschossen darüber nahmen Raumgröße und Ornamentschmuck dann ab, bis in den „Chambres des Bonnes“ ganz oben unter dem Dach schließlich die Dienstbot:innen hausten.
Nicht nur die Architektur räumte Haussmann auf, er ließ auch die Infrastruktur modernisieren. So erhielt Paris seine Beleuchtung aus Zehntausenden Gaslaternen, die zum Spitznamen „Stadt der Lichter“ führte. Die Wasserversorgung wurde erneuert und zahlreiche Brunnen errichtet. Außerdem sollte ein modernes Abwassersystem das Risiko von Cholera-Epidemien reduzieren: 600 Kilometer Abwasserkanäle wurden unter Haussmann errichtet.
Gentrifizierung anno 1860
Auch wenn architektonisch und infrastrukturell viel zum Wohl der Pariser:innen getan wurde – Haussmanns rigoroses Aufräumen in Sachen Stadtplanung stieß nicht nur auf Gegenliebe. Zum einen fühlten sich die Bewohner:innen der Stadt von den konstanten Bauarbeiten gestört. Zudem konnten die Maßnahmen auch als Intervention gegen potenziell aufständische Bürger:innen (wie den Juniaufstand 1832 oder die Februarrevolution 1848) interpretiert werden – in einer Stadt mit breiten Boulevards und rechtwinkligem Straßenraster war wenig Raum, wo sich Aufständische verstecken konnten, dafür hatte das Militär Platz zum Manövrieren.
Und natürlich initiierten Haussmanns Maßnahmen auch Mitte des 19. Jahrhunderts schon Prozesse der Gentrifizierung: Wohlhabende konnten sich die Wohnungen in den neuen, im Wert gestiegenen Bauten leisten. Arme Bürger:innen wurden dagegen aus der Stadt verdrängt, die Slums verschwanden und die Pariser Innenstadt wurde zum Ort der Bourgeoisie.
Schließlich gab es Kritiker:innen, die das alte, verwinkelte Paris vermissten und sich nostalgisch an die Stadt von Balzac und Voltaire erinnerten, deren letzte Momente das gerade aufgekommene Medium der Fotografie noch festhalten konnte. In den Fleurs du Mal spielt der Dichter Charles Baudelaire im Gedicht Le Cygne (Der Schwan) auf den Umbau an: „Le vieux Paris n’est plus (la forme d’une ville/ Change plus vite, hélas! Que le coeur d’un mortel)“ „(Das alte Paris ist nicht mehr (die Gestalt einer Stadt wechselt rascher, ach! Als das Herz eines Sterblichen)“
Weltweite Nachwirkungen
Die umfassende Umgestaltung von Paris diente weltweit als Blaupause für wachsende Großstädte, die sich auf die Gegebenheiten des Industriezeitalters einstellen mussten. Zum Beispiel wurde Buenos Aires explizit als „Paris Südamerikas“ nach Haussmann-Vorbild gestaltet. Auch in Barcelona, Bukarest, Wien, Kairo oder Stockholm wurden seine Maßnahmen aufgegriffen. Der New Yorker Stadtplaner Frederick Law Olmstedt ließ sich für seine Pläne für den Central Park unter anderem auch von Haussmanns Parkanlage des Bois de Boulogne inspirieren.
Auch Berlin trägt Spuren von Haussmanns Arbeiten: Schon 1862 begannen mit dem sogenannten Hobrecht-Plan stadtplanerische Umgestaltungen, um die wachsende Hauptstadt Preußens und ihre neuen Eingemeindungen zu erschließen. 1867 sah Wilhelm I., damals noch König von Preußen, Haussmanns Pläne auf der Pariser Weltausstellung und ließ diese Ideen in die Neugestaltung von Berlin einfließen, das ab 1871 auch Hauptstadt des deutschen Kaiserreichs wurde.
Haussmanns kompromisslose Art mit städtebaulichem Material umzugehen diente allerdings auch als Vorlage für faschistischen Größenwahn. So ließ Mussolini in Rom monumentale Sichtachsen wie die Via della Conciliazione und die Via dei Fori Imperiali durch die Stadt fräsen. Auch Hitlers Pläne für den Umbau Berlins zur „Reichshaupstadt Germania“, mit denen er Albert Speer beauftragte, enthielten mit den Nord-Süd- und Ost-West-Achsen Strukturen um Haussmann-Stil, wurden glücklicherweise aber nie ausgeführt.
Wie wurden die Abrisse und Neubauten finanziert. Watendes Enteignung uns staatlich finanzierter Neubau?